Full text: Das Weltbild der Gegenwart

222 Die Kultur 
sorgt, aus dem schlafartigen Zustand nicht zu erwachen 
und damit den geistigen Strom in sich zum Stillstand zu 
bringen. Alle großen Werke dagegen sind ein Produkt 
gemeinsamer Zusammenarbeit von Inspiration und be- 
wußter Aktivität. Kein Drama, keine Oper, kein großes 
Gemälde entsteht in rein inspirativer Form. Die Manu- 
skripte allein beweisen es durch die Durchstreichungen, 
Verbesserungen, Umarbeitungen, welche sie aufweisen. 
Ebenso kämpft der Maler um seine Schöpfung. Zu zahl- 
reichen großen Werken sind uns Vorstudien, auch -lite- 
rarische Zeugnisse über ihre Entstehung, erhalten, wäh- 
rend das „Malmedium“ in abnormem Geisteszustand ohne 
Plan rein triebhaft die Hand führt. Das entscheidende 
Moment freilich liegt in der Inspiration. Der Gesamtplan, 
die Grundstruktur eines Werkes, bildet sich ganz anders 
im Geiste des’ Schöpfers, als wenn ein unproduktiver 
Kopf sich bemüht, ein Werk oder wenigstens den Plan 
eines solchen zustande zu bringen. Bei ihm sind das erste 
die Teile, er stellt Figuren zu einer Gruppe zusammen, 
oder er nimmt sich vor, ein Drama zu schreiben und 
sucht nun mühsam nach einem "Thema. Beim echten 
Künstler kommt gerade das Ganze, die Idee, nicht durch 
bewußtes Probieren zustande. Auch sie braucht freilich 
nicht auf einmal da zu sein. Sie kann stückweise ins 
Bewußtsein treten. Aber der Künstler baut sie nicht 
eigentlich planmäßig aus diesen Bruchstücken auf, son- 
dern sie baut sich in ihm aus denselben auf, falls man 
nicht, ein Unbewußtes annehmend, vorzieht zu meinen, daß 
dasselbe erst sukzessive bewußt wird. Goethe weist deshalb 
den Ausdruck „Komposition“ mit äußerster Schärfe zu- 
rück: „Es ist ein niederträchtiges Wort ... Wie kann 
man sagen, Mozart habe seinen ‚Don Juan‘ komponiert! 
Komposition — als ob es ein Stück Kuchen oder Biskuit
	        
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