30 Die Kultur
Jahrhunderten auf den Individuen gelegen, um starkes
individuelles Leben entstehen zu lassen.
Durch die Basierung der Religion auf Erkenntnis ist
die Philosophie zu allen Zeiten in Konflikt mit der
Traditionsreligion geraten. Selbst im kirchen-
freien Griechenland hat mehr als einmal dieser Konflikt
zu Zusammenstößen mit staatlichen Gewalten geführt,
Sokrates ‘ wurde hingerichtet, Anaxagoras verbannt,
Aristoteles flüchtete rechtzeitig. Erst recht groß wurde
die Zahl der Konflikte in der Neuzeit. (Hordano Bruno
wurde verbrannt, Descartes verzichtete auf eine wichtige
Publikation, Spinoza wurde (vom Judentum) in: den
Bann getan; Kant und Fichte sind gemaßregelt worden.
Selten kam es zu einer inneren Versöhnung von Denkern
mit der Traditionsreligiosität wie bei Leibniz und in ge-
mindertem Maße bei Hegel. In neuester Zeit hat die
Philosophie endlich den Sieg davongetragen; die staat-
lichen Organe selbst sind schon geraume Zeit so stark
von den Tendenzen zu wissenschaftlicher Weltanschauung
durchsetzt gewesen, daß ein Prozeß wegen Nichtüberein-
stimmung mit der Staatsreligion gegen einen Philosophen
nicht mehr möglich war.
_ Während in der europäischen Philosophie in der
Regel der intellektuelle Faktor den ethischen und reli-
giösen überragt, gilt das Umgekehrte von Indien.
Indien hat in philosophischer Hinsicht neben Griechen-
land die bedeutendste spontane Produktion der Erde auf-
zuweisen. Es ist das einzige Land, in dem neben Hellas
philosophisches Nachdenken sich von selbst, ohne fremdes
Vorbild, in reichem Maße entfaltet hat, wie übrigens auch
einige andere Disziplinen; denn auch Astronomie und
mehr noch Mathematik, Jurisprudenz und Grammatik
gelangten zur Blüte; sehr schwach waren dagegen die
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