Full text: Einleitung in die Philosophie der Mythologie (2. Abtheilung, 1. Band)

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äußere und zufällige seyn würde. Es mag bequem dünken, die nicht 
an der Oberfläche , sondern in der Tiefe liegende .:Verwändtsc<haft durch 
einen solchen bloß äußeren und untergeordneten Zusammenhang zu er- 
klären, aber die Art der Uebereinstimmung widerspricht ver Annahme. 
Hätten die Griechen ihre Demeter nur von den Aegyptern erhalten, so 
müßte Demeter wie Isis den erschlagenen Gemahl, oder Zsis wie De- 
meter die geraubte Tochter suchen. Die Aehnlichkeit besteht aber nur 
Darin, daß beide ein Verlornes suchen. Da dieses Verlorne aber für 
jede ein anderes ist, so kann die griechische Vorstellung nicht ein bloßer 
Abdruck der ägyptischen, noch von dieser abhängig seyn, sie muß selb- 
ständig und unabhängig von der vorhergehenden entstanden seyn. Die 
Aehnlichfeiten sind nicht, wie sie zwischen Original und Copie zu seyn 
pflegen , sie denten nicht auf eine einseitige Abkunft der einen Mythologie 
von der andern, sondern auf eine gemeinschaftliche Abkunft aller. Es 
ist keine äußerlich erklärbare, es - ist eine Aehnlichkeit der Blutsver- 
wandtschaft. 
Ließe fich. aber auch die Verwandtschaft der verschiedenen Mytho- 
logien auf jene äußerliche, mechanische Weise erklären, könnte man es 
auch über sich bringen, mit dieser großen Thatsache, welche man als 
ein mächtiges Entwicklungsmittel der wahren Theorie werth achten muß, 
es so leicht zu nehmen: Eines bliebe immer noch vorausgeseßt, näm- 
lic daß die Mythologie in oder unter einem Volk entstehen könne. Mir 
aber scheint gerade dieß, woran bis jezt niemand Anstoß genommen, 
gar sehr der Untersuchung bedürftig, ob es nämlich überhaupt denkbar 
sey, daß Mythologie aus oder unter einem Volk entstehe. Denn zuerst, 
was ist do< ein Volk, oder was macht es zum Volk? Unstreitig nicht 
Die bloße räumliche Coexistenz einer größeren oder kleineren Anzahl 
physisch gleichartiger Individuen, sondern die Gemeinschaft des Bewußt- 
seyns zwischen ihnen. Diese hat in der gemeinschaftlichen Sprache nur 
ihren unmittelbaren Ausdruck; aber worin sollen wir diese Gemeinschaft 
selbst oder ihren Grund finden, wenn nicht in einer gemeinschaftlichen 
Weltansicht, und diese -wieder, worin kann sie einem Volk ursprünglich 
enthalten und gegeben seyn, wenn nicht in seiner Mythologie? Es
	        
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