Full text: Philosophie der Mythologie (2. Abtheilung, 2. Band)

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seines ganzen Körpers ein tief ins Körperliche versunkenes ,- mit allen 
Wurzeln ins Materielle eingewachsenes Bewußtseyn anzeigt, so deutet das 
Physiognomische des Indiers auf das Uebergewicht der Seele. Die Seele, 
d. h. das, was nach der Aufhebung der materiellen Einheit allein übrig bleibt 
-=- 'das nach dem Tode Bleibende, Fortdauernde wird in allen Sprachen 
Seele genannt =, diese tritt hier“ gleichsam schon an. dier Oberfläche; der 
Körper ist wirklich nur noch eine Erscheinung und schwebt nur wie ein 
Traum im Bewußtseyn des Indiers. 
1. Was der Indier in seiner Philosophie annimmt, daß die Sinnenwelt 
i* eine Illusion, ein vorübergehendes Phänomen sey, das drückt sich an 
ihm selbst, in seiner äußeren, physis<en Erscheinung aus. Der Körper 
ist ihm wie nichts, nur ein völlig geschmeidiges Werkzeug, mit dem er 
| macht, was er will. Ins Unglaubliche gehen die Künste der indischen 
Gaukler. Wo immer in einem indischen Bildwerk oder in einem Werk 
indischer Poesie für uns etwas Bezauberndes und Rührendes liegt, stets 
wird man finden, daß es der Ausdruc der Seele, das Seelenvolle ist, 
was uns ergreift. Immer freilich ist mit diesem Ausdruc> etwas Un- 
heimliches verfnüpft, jenes Gefühl , das eine Scönheit einflößt, die, 
gleichsam bis zur bloßen Erscheinung geläutert, nur eine Flamme zu 
seyn scheint, die von jedem Hauche beweglich nur zu erlöschen braucht. 
Mit welchem Entzücken, mit welcher allgemeinen Anerkennung ihrer be- 
zaubernden Lieblichkeit ist die Dichtung des Kalidas, die berühmte Sa- 
fontala, in ganz Europa aufgenommen worden! Exrfors<t man, was 
diesem - Eindru> zu Grunde liegt, so ist es eben dieses Uebergewicht der 
Seele, diese außerordentliche Sensibilität ' einer“ ihre Hülle gleichsam 
dur<brechenden, ja sie gleichsam unsichtbar machenden Seele, die sich 
in der krankhaften Schwärmerei dieses Gedichts offenbart. Auch Goethe 
hat Safkontala verherrlicht dur< das bekannte Epigramm: 
Willt du die Blüthe des frühern, die Früchte des späteren Jahres, 
Willt du, was reizt und erquickt, willt du was sättigt und nährt, 
Willt du die Erde, den Himmel mit Einem Namen begreifen , 
Nenn' ich Sakontala dir, und so ist alles gesagt. 
So sc<ön diese Zeilen sind, erlaube ich mir zu gestehen, daß ich das
	        
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