E T N L E I T U N G
„Dieu le veut!‘“ — irgendwann ist im Westen Europas der Ruf zuerst er-
schollen, der die Wellen der Kreuzfahrer durch Europa wälzte. Das tausend-
jährige Reich Christi war vergangen — und die Welt bestand weiterhin. Macht
und Recht hatten auf antikischem Gut, hatten aus antikischem Erbe die
monastische Burg einer abendländischen Weltanschauung aufgebaut und
hatten den Kaisergedanken der ewigen Roma hinübergerettet in ein Reich
voll ungezügelter Kräfte. Der Osten und Westen der Mittelmeerwelt waren
geeint und wieder gelöst worden. Der lateinische Westen trug sich endlich in
großen Träumen eines Imperiums von Romas Glanz: Karl der Große und die
Ottonen. Jahrhunderte ringender Arbeit waren getan, die unfriedliche Ruh-
losigkeit primitiver Gewalten zu endlichem Stillstand gefriedet, und die Träger
eines neuen Weltgedankens der Civitas Dei können dem jähen Ungestüm bar-
barischer Mächte mit dem Bann aus innerer Gewalt begegnen. Gralstempel
wachsen auf, und in ihnen glüht edelsteinschimmernde Kunde von Symbolen
des Heils — romanisch Gebild. Das Abendland hat ein Reich.
Am Ostersonntag im Jahre 1146 redete auf den Gefilden um das alte gallische
Pilgerheiligtum zu V6zelay in Burgund der heilige Bernhard. Sprach vom Grab
Christi, das in der Heiden Hand, und vom Kreuz. Zerriß sein Gewand und
verkündete vom Wehen einer neuen Zeit. ‚„,Dieu le veut!‘“ Tausende folgten —
von Land zu Land schwoll die Flut gen Osten; kaum mehr als verklungene
Sage kehrte zurück.
1099 wird Gottfried von Bouillon zum König des christlichen Königreichs
Jerusalem erhoben; 1492 entdeckt Christoph Columbus mit einer Rotte von
Abenteurern Westindien. Der gotische Traum der Kreuzfahrer, über einem
Grabe eine ewige Macht aufzurichten, zerstiebt wie der Massenwahn seiner
Träger; die erste Expansion des Abendlandes erobert ein geistiges, kein welt-
liches Reich. Die Räson des Genuesen, nicht minder mittelalterlich phantastisch
in ihrer Besessenheit vom Zauberlande Indien, faßt Fuß auf einem neuen
Kontinent; die zweite Expansion des Abendlandes erobert ein Land; eine Welt
unabsehbarer Macht der weißen Rasse.
Die Zeiten des Gotischen beginnen da, wo im Zeichen der Kreuzfahrten ein
weltgeschichtliches Faktum: das Gemeinschaftsbewußtsein der europäischen
Völker zur Tat wird — sie endigen mit der (für die nächsten Jahrhunderte)
endgültigen Abkehr vom näheren Orient und damit in dem schließlichen Ver-
zicht Europas auf die Illusion eines Imperiums. Die Internationale abend-
ländischer Völkeranschauung erlebt innerhalb dieser Zeiten — dem dreizehnten,