gelegentlich innerhalb der Buchmalerei ganze Bilderfolgen der Wiedergabe
solcher Denkmäler der Vergangenheit widmete.
Fragt man sich nun, worin das Eigenste des gotischen Profanbaues auf künst-
lerischem Gebiete gefunden werden könnte, so werden zwei Gesichtspunkte zu
berücksichtigen sein. Einmal liegt gewiß ein großer und nicht zufälliger Nach-
druck in der Zweckbestimmtheit. Der Stadtplan, die Burganlage, die Markt-
halle, das Rathaus — das sind durchweg Geschöpfe bewußt geistiger und nicht
willkürlicher Gestaltung der Form. Diese Formgestaltung ist selbständig, sie
vollzieht sich in allem Wesentlichen notwendig unabhängig von den ganz
anderen Richtlinien des Sakralbaues, nur die Wurzel der Willensrichtung ist
eine. Eine Frage bleibt, ob die Zweckbestimmtheit allein genügt, das Vor-
handensein künstlerischen Willens zu behaupten — augenblicklich scheint sie
uns angesichts der tektonischen Gestaltung einer bewehrten Brücke, eines
mittelalterlichen Lagerhauses u. a. beweiskräftig.
Mit solcher Einstellung ergibt sich von selbst, daß die Formgeschichte des
Profanbaues nicht in den Verlaufslinien der Kirchenbauten verfolgt werden
kann; was an diese in der Formwandlung gelegentlich erinnert, ist für die
innere Geschichte irrelevant. Die Wandlung des künstlerischen Ausdrucks, die
eine Burg des dreizehnten und ein Schloß des fünfzehnten Jahrhunderts unter-
scheidet, ist unmittelbar Ausdruck der Zeitgesinnung: die Geschlechtertürme
einer Kommune des dreizehnten Jahrhunderts wie San Gimignano (Abb. 162)
und ihnen gegenüber Belfried und Hallen einer flandrischen Stadt des fünf-
zehnten Jahrhunderts, wie Ypern (Abb. 180) — sie zeigen die Kultur des Go-
tischen innerhalb all ihrer Wandlungen bereit und begabt, dem Leben der Zeit
die bestimmende Würde und das Ansehen großer Form zu geben.
Es gibt, rückschauend von der Gesamtkultur des europäischen Mittelalters
um das Jahr 1300, wohl wenige Tatsachen der künstlerischen Form, welche
eindrücklicher das spezifisch Gotische — gegenüber dem spezifisch Romani-
schen — vorzustellen vermöchten als der Gesamtumriß einer gotischen Stadt,
als großer Organismus betrachtet, in dem die Kathedrale, das Rathaus, die
Verschanzung ebensoviele notwendige Glieder eines leibhaftigen und sinn-
vollen Ganzen — aber eben doch Glieder gegenüber einer Gesamtheit — ver-
körpern. Man mag mit den Skeptikern über romantische Phantasien von
gotischen Straßen und Stadtkronen lächeln, man würde — selbst wenn gar
nichts mehr vom Fleische einer gotischen Stadt existierte — nicht darüber
hinwegkommen, angesichts der genialen werkhaften Einheit, die eine Kathe-
drale — auf ihre Wirkungselemente hin angesehen — nicht anders formend
bestimmt als ein Stadttor oder ein Gildenhaus, im Tektonischen dieser Werke
eine allgemeine Norm der Gesinnung zu erkennen, der gegenüber es geschicht-
lich ein Unding wäre, wenn sich Stadtform und Städtebau außerhalb und
unabhängig von derselben — mithin zufällig und willkürlich — entwickelt
hätten. Was unserem der Renaissance entwachsenen Geschlechte fremd und
unglaublich vorkommt: die Verschleiertheit der Planungen und ihrer Träger —
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