Full text: Die Kunst der Gotik (7)

durch Karl IV. (1348). Das Motiv des Vierflügelbaues mit Laubenhof, das 
ausgebildet im fünfzehnten Jahrhundert begegnet (Jagellonisches Kolleg in 
Krakau, nach 1492), wird aus einer Durchkreuzung der Klosteranlage mit dem 
Cortile-Typus des italienischen Palazzo entsprungen sein. Die bekanntesten 
der gotischen Hochschulbauten stehen in England: Cambridge, Winchester, 
Oxford. Nicht allein die berühmten Kirchen der Spätgotik (Cambridge, King’s 
College, vgl. S. 37, 38; Abb. 284) innerhalb dieser Anlagen, der Anblick der 
Höfe und durchweg niedrig gehaltenen Wohnbauten mit ihren einheitlichen 
Zellen, der geschlossene Ernst, der schon in den stattlichen Tortürmen (Cam- 
bridge, Trinity College) dem Eintretenden begegnet, zeugt von einer Daseins- 
kraft, der jede humanistische Sentimentalität fremd ist. Überhaupt, wenn 
eines am Profanbau der Gotik übertragbar wäre in das Leben der Gegenwart 
und Zukunft, so könnte es nur in dem ungebrochen starken Gefühl für das 
wahrhaft Bedeutende liegen, das Norden wie Süden innerhalb seiner profanen 
Architektur durchzieht — durchaus entgegengesetzt aller Rührsamkeit des 
Malerischen; sei es humanistischer, sei es romantischer Einstellung. 
Der Form des Bürgerhauses kann nur andeutungsweise gedacht werden; 
nicht als eigenes Element, vielmehr als Glied einer höheren Ordnung ist das 
Einzelhaus im gotischen Gesamtbild wichtig, mehr somit eine Frage des Städte- 
baues als der — nicht künstlerisch, sondern topographisch bestimmten — 
Typen. Sicher liegt ein starkes künstlerisches Element zuletzt darin, wie der 
Stil den jeweiligen Hausformen, gleichviel ob Fachwerk oder Steinbau, Haltung 
und Nuance zu geben weiß, ohne ihnen Gewalt anzutun, wie ganz im Gegen- 
satz zum Begriff des Internationalen künstlerischer Formung im neunzehnten 
Jahrhundert der internationale Wille des Gotischen selbst innerhalb der In- 
timität der Sonderformen der Stämme und Völker als ein verklärendes Lebens- 
element wirksam wird. Es war schon zu verfolgen, wie im Süden nicht minder 
als im Norden die monumentalen Fassungen des städtischen Bauwesens aus 
der Steigerung der Hausformen entsprangen — das Geheimnis der Einheit in 
der gotischen Stadt, mag Lübeck oder Gent, Aigues-Mortes oder das mittel- 
alterliche Florenz gemeint sein, beruht nicht zuletzt in der Erkenntnis der 
bodenständigen Einheiten, welche im bewußten Gegensatz zur Kumulierung 
im Sakralbau bis in die Einzelheit hinein das Leben der Kommunen durch- 
fluten, vergleichbar der straffen Gesetzmäßigkeit ständischer Gliederung. Die 
Verkörperung ständischer Gewalten und Elemente, seien es die aus dem 
scholastischen Ideenkreis hervorgegangenen Symbole der Fortezza oder Giu- 
stizia am Brunnen des Giovanni Pisano in Perugia (Abb. 195) oder die Ver- 
körperungen deutscher Rechtsvorstellungen in den Rolanden oder den sieben 
Kurfürsten (Nürnberg, Schöner Brunnen), durchziehen die mittelalterliche 
Welt und geben ihr die panzerfeste Wucht des Sinnhaften — weil und wo 
solche Sinnlichkeit immer ein Geistiges durchglüht.
	        
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