Das ist die Spanne künstlerischen Geschehens, die zwischen der Pfeiler-
madonna von Reims und der Vierge doree von Amiens im letzten Viertel des Si
dreizehnten Jahrhunderts (Taf. XXIII) liegt. Die Apostel der Sainte-Chapelle de:
von Paris (Abb. 400), die Stephanspforte von Notre-Dame (Abb. 392) und die RO
benachbarten Szenen aus dem Schülerleben auf der Nordseite stehen in diesem eir
Kreis. Diese Kunst geht nach Weite und Vertiefung einer Schönheit von rein
idealem Gepräge. Selbst die Grenze der Manier einer überzüchteten Form stj
— die Apostel der Sainte-Chapelle — scheut man gelegentlich nicht. Denn da
Bereicherung eines leicht getragenen Daseins, das der Wirklichkeit erwartend, ge
ohne Bangen, voll geistreicher Unbefangenheit gegenübersteht, ist das Ziel. Kı
Nicht anders als es der klassische Raum der Kathedrale des dreizehnten Jahr- dB
hunderts will. Jeder neue Zuwachs formalen Könnens — man muß die Reliefs SC
der Stephanslegende der Notre-Dame zu Paris mit dem Jüngsten Gericht von at
Amiens vergleichen (Abb. 392 und 381) — fließt einer holderen und beschwing- in
teren Leichtigkeit des Anmutigen zu. ge:
Am Schlusse dieser Reihe steht die Vierge doree in Amiens mit dem Fries Pa
der Apostel zu ihren Häupten (Taf. XXIII). Die Statue der königlichen de
Madonna wirkte schlagwortgleich in der gotischen Welt: bis in das fünfzehnte de
Jahrhundert ist in Kopien des Westens und in Deutschland das sieghafte Ps
Motiv der großen Linie einer körperlichen Erhabenheit, wie sie nur die Gotik Zw
des dreizehnten Jahrhunderts sah, zu verspüren. Die rauschende Schwere der A}
Reimser Säulenmadonna ist ganz Klang geworden: eine Frau gegenüber einem da
Mädchen. In Reims ist das Leben von einer strengeren Fessel des Jenseitigen ht
überschattet, vielleicht nur die Königin von Saba und Salomo wissen von dem Re
hohen Freimut dieser leuchtenden Menschlichkeit, die sich mit den Musi- de
kanten in Reims (Abb. 398, 399) und mit dem Portal der goldenen Madonna H
in Amiens erfüllt. Das Klassische der Gotik steht auf höchstem Gipfel. ZEı
Die Peripherie vertieft das Bild, nicht daß sie bereicherte. Da sind die Portal- Eı
figuren von Le Mans (Couture, Abb. 396) mit einem überquellenden Zug ins ge
unentschieden Weiche, durchsetzt von optischen Reizen, die dem Naturalis- So!
mus des Gerichtsportals von Bourges (Abb. 395) seine faszinierende Einheit F:
verleihen. Da sind ferner die Bogenfeldreliefs der Seitenportale von Bourges dr.
und die Fragmente vom Lettner dortselbst, die im Louvre stehen, ein Relief- im
stil von starker Energie des Tatsächlichen; vom großen Realismus des vier- Gi
zehnten eine Vorahnung. Endlich die herrlichen Ornamente von den Sockeln Ze
in Nevers (Abb. 397), in Bourges, in Lyon (Abb. 406) mit der Welt ihrer Klein- jü
bilder aus Leben und Schrift, ein altes Erbe der hochgepflegten Schmuck- als
bereitschaft des burgundischen Landes, der ein ähnlich reiches und buntes de
Leben nur in einigen Werken der Normandie (Mont-Saint-Michel, Kreuzgang; so
Bayeux) zur Seite steht. alt
Es scheint nicht, wenn man nach dem Süden schaut, daß zunächst die Kathe- ne
dralhütten des dreizehnten Jahrhunderts das plastische Formideal weit hinaus- an
trugen. Was die Kathedrale von Bordeaux, die Kirche von Saint-Seurin dort bi
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