mantelmadonna und wohl auch der Johannesminne — seinem Gedankenkreis
entsprungen sind, verhältnismäßig unbeteiligt gegenübersteht. Auch da er-
scheint mit Gesetzmäßigkeit die Verschiedenheit völkischer Lagerung der
Kräfte: dem Kathedralraum Frankreichs ist die stolze Verschlossenheit der
Portalfiguren, des heroischen Ahnherrngeschlechtes Christi und der könig-
lichen Mutter, nicht weniger sinngemäß, als Schmerzensmann und Vesperbild
im Münster oder der Ordenskirche Deutschlands ihren bevorzugten Platz
finden. (Italien konzentriert seine Kräfte um ein gänzlich anderes: den episoden-
haft erzählenden Reliefschmuck an Kanzel oder Portal oder die rhetorische
Form des Grabdenkmals, sei es einem Heiligen oder Weltmann bestimmt.)
Die gotische Plastik Deutschlands wird mithin zum entscheidenden
Problem in dem Augenblick, da die Rezeption der westlichen Kathedrale
vollzogen ist und die neue Kräftezusammensetzung der Städte in den Vorder-
grund kultureller Aufgaben — deren Brennpunkt hier wie dort im Kultischen
beruht — rückt. Das ist das deutsche vierzehnte Jahrhundert.
Erst von hier aus ist es möglich, die Frage eingehend zu prüfen, seit welchem
Zeitpunkt von einer gotischen Bildnerei Deutschlands gesprochen werden
kann. Für die Plastik der Isle-de-France war festzustellen, daß die gotische
Bildform nicht vor dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts, d. h. gut zwei
Generationen nach der entscheidenden Erscheinung des architektonischen
Problems, einsetzte; das gleiche wiederholt sich in Deutschland mit der Vor-
aussetzung, daß die Stilwende innerhalb der Architektur hier nicht vor der
Frühzeit des dreizehnten Jahrhunderts eintrat. Die erste Phase gotischer
Bildnerei in Deutschland umspannt somit die letzte Generation des dreizehnten
Jahrhunderts; man kann sie etwa mit den Namen Magdeburg, Straßburg
(West), Freiburg (Vorhalle) und Regensburg umschreiben.
Die Gegensätze zwischen dem zu höchster Spannung getriebenen plastischen
Impuls des Spätromanischen, wie ihn Naumburg verkörpert — ein Götter-
geschlecht siegender und leidender Menschen jenseits alles Zeitlichen —, und
dem scharf akzentuierten Modeton des Hofes oder der Bühne, der in Straßburg
(Abb. 419, 424) und Magdeburg (Abb. 418) mit der Folge der klugen und
törichten Jungfrauen erscheint, sind von ungleich größerer Vehemenz als im
Westen. Das Herabsteigen zu den betörenden Sinnen, das die süßen Gestalten
der klugen Mädchen von Magdeburg und der törichten von Straßburg erschafft,
wird — gemessen an der herben Kraft der Naumburger — als ein sichtbares
Werk der Frau Welt empfunden, als ein einmaliges, das spontan sich empor-
ringt wie die Gestalt der Isolde des Meisters Gottfried im Epos; nicht ein Stil,
den mehr als eine Generation zu halten imstande ist. Schon Freiburg — die
klugen Jungfrauen der Vorhalle, wenig später die thronenden Fürsten von
den Strebepfeilern des Turms —: ein Abrücken von solch verbindlicher
Schöne, ein höheres Maß herber Tatbewußtheit. Nicht der exklusive Hofton
einer Kathedralhütte wie Paris oder Reims oder Amiens; ein stolzer und
strenger Wille, der sich enger verpflichtet fühlt dem Volk, aus dem er erwuchs,
RA