. Im Klassizismus sehen wir‘’das Bestreben, die künstlerische Gestaltung in
Regeln zu bannen und hohe Muster aufzustellen, mit dem Anspruch auf
Allgemeingültigkeit. Er ist durchaus normativ und widerstrebt insofern der
freien Betätigung der Individualität, so wenig er selbstverständlich die Ent-
wicklung großer Persönlichkeiten hindert. Nur erscheinen bei ihm die großen
Künstler eben als die Erfüller des Gesetzes. Er ist rationalistisch, sofern
man überhaupt von Rationalismus in der Kunst reden kann. Da nun der
Klassizismus seine Normen der seit langen Generationen den Europäern ver-
trauten griechisch-römischen Antike entlehnt, so ist er sehr gemeinverständ-
lich und schwerlich jemals Mißdeütungen ausgesetzt gewesen.
Anders die Romantik. Nichts hat ihr Verständnis so sehr erschwert, als
daß sie, eines deutlichen Programms ermangelnd, von ihren eigenen An-
hängern in den Zeiten ihrer Jugendblüte verschieden und nicht ohne Wider-
sprüche gedeutet worden ist. Dies aber hängt damit zusammen, daß sie das
dem Klassizismus entgegengesetzte Prinzip der individualistischen Form dar-
stellt. Damit ist gesagt, daß sie sich auf keinerlei historische Stile einseitig
stützt, wie sie auch kein eindeutig herrschendes Formgesetz hervorgebracht
hat. Es gibt also keinen romantischen Stil, sondern nur eine romantische
Gesinnung. Diese aber gipfelt in einem dem Klassizismus entgegengesetzten
Ziele. Denn während das klassizistische Kunstgebilde den Beschauer beglückt,
indem es ihn in den Bereich einer befriedigten Harmonie einführt, erfüllt das
romantische Kunstwerk seine Bestimmung, indem es den Empfänger erregt,
in seinem Eigengefühl steigert und: bereichert, ohne Rücksicht auf Schönheit
und Harmonie, ja oftmals mit absichtlicher Vermeidung der Klarheit. Die
Romantik ist also durchaus irrational und begünstigt die im volkstümlichen
Verstande genialische Gebärde des Künstlers, mit der er alle Fesseln der
Konvention sprengen möchte. Es leuchtet ein, daß einer solchen Gesinnung
Poesie und Musik angemessenere Ausdrucksmittel gewähren als die bildenden
Künste. Charakteristisch für die Entwicklung romantischer Kunst ist denn
auch das allmählich immer stärker anschwellende Eindringen poetischer (und
musikalischer) Vorstellungen in die Bereiche der Malerei.
Doch weiter! Wenn von bildender Kunst theoretisch die Rede ist, muß
ihr grundsätzliches Verhalten zur Natur vorab erklärt werden. Alle klassisch
gerichtete Kunst steht der Natur als dem Kosmos gegenüber, und zwar
sieht sie nicht nur die Natur als die durchschaubare, faßliche Ordnung der
Welt an, sondern sie ist überall bestrebt, aus dem einzelnen Naturgebilde
dessen Normalform herauszuziehen, um sie darzustellen — wie es Dürer in
einem berühmten Satze einmal von der Schönheit sagt, die aus der Natur
herausgerissen werden müsse. Bei solcher Gesinnung gelangt die klassi-
zistische Kunst dahin, auch in der Architektur die einfachsten faßlichsten
Formen anzuwenden, kubische Körper. mit glatten Flächen, an denen ein
sparsamer Zierat viel mehr der Verdeutlichung der Funktionen dient -als
der Bereicherung. Für Bogen und Wölbung werden der Halbkreis, das
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