Full text: Die Kunst des Klassizismus und der Romantik (14)

. Im Klassizismus sehen wir‘’das Bestreben, die künstlerische Gestaltung in 
Regeln zu bannen und hohe Muster aufzustellen, mit dem Anspruch auf 
Allgemeingültigkeit. Er ist durchaus normativ und widerstrebt insofern der 
freien Betätigung der Individualität, so wenig er selbstverständlich die Ent- 
wicklung großer Persönlichkeiten hindert. Nur erscheinen bei ihm die großen 
Künstler eben als die Erfüller des Gesetzes. Er ist rationalistisch, sofern 
man überhaupt von Rationalismus in der Kunst reden kann. Da nun der 
Klassizismus seine Normen der seit langen Generationen den Europäern ver- 
trauten griechisch-römischen Antike entlehnt, so ist er sehr gemeinverständ- 
lich und schwerlich jemals Mißdeütungen ausgesetzt gewesen. 
Anders die Romantik. Nichts hat ihr Verständnis so sehr erschwert, als 
daß sie, eines deutlichen Programms ermangelnd, von ihren eigenen An- 
hängern in den Zeiten ihrer Jugendblüte verschieden und nicht ohne Wider- 
sprüche gedeutet worden ist. Dies aber hängt damit zusammen, daß sie das 
dem Klassizismus entgegengesetzte Prinzip der individualistischen Form dar- 
stellt. Damit ist gesagt, daß sie sich auf keinerlei historische Stile einseitig 
stützt, wie sie auch kein eindeutig herrschendes Formgesetz hervorgebracht 
hat. Es gibt also keinen romantischen Stil, sondern nur eine romantische 
Gesinnung. Diese aber gipfelt in einem dem Klassizismus entgegengesetzten 
Ziele. Denn während das klassizistische Kunstgebilde den Beschauer beglückt, 
indem es ihn in den Bereich einer befriedigten Harmonie einführt, erfüllt das 
romantische Kunstwerk seine Bestimmung, indem es den Empfänger erregt, 
in seinem Eigengefühl steigert und: bereichert, ohne Rücksicht auf Schönheit 
und Harmonie, ja oftmals mit absichtlicher Vermeidung der Klarheit. Die 
Romantik ist also durchaus irrational und begünstigt die im volkstümlichen 
Verstande genialische Gebärde des Künstlers, mit der er alle Fesseln der 
Konvention sprengen möchte. Es leuchtet ein, daß einer solchen Gesinnung 
Poesie und Musik angemessenere Ausdrucksmittel gewähren als die bildenden 
Künste. Charakteristisch für die Entwicklung romantischer Kunst ist denn 
auch das allmählich immer stärker anschwellende Eindringen poetischer (und 
musikalischer) Vorstellungen in die Bereiche der Malerei. 
Doch weiter! Wenn von bildender Kunst theoretisch die Rede ist, muß 
ihr grundsätzliches Verhalten zur Natur vorab erklärt werden. Alle klassisch 
gerichtete Kunst steht der Natur als dem Kosmos gegenüber, und zwar 
sieht sie nicht nur die Natur als die durchschaubare, faßliche Ordnung der 
Welt an, sondern sie ist überall bestrebt, aus dem einzelnen Naturgebilde 
dessen Normalform herauszuziehen, um sie darzustellen — wie es Dürer in 
einem berühmten Satze einmal von der Schönheit sagt, die aus der Natur 
herausgerissen werden müsse. Bei solcher Gesinnung gelangt die klassi- 
zistische Kunst dahin, auch in der Architektur die einfachsten faßlichsten 
Formen anzuwenden, kubische Körper. mit glatten Flächen, an denen ein 
sparsamer Zierat viel mehr der Verdeutlichung der Funktionen dient -als 
der Bereicherung. Für Bogen und Wölbung werden der Halbkreis, das 
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