Art ist es, die Menschen als eingebettet in einen wohlgeordneten, von einem
gütigen Gott gelenkten Kosmos anzusehen. Seine Grundstimmung ist eine
unbeirrbare heitere Frömmigkeit. In den anmutigen Ornamenten, mit denen
er gern seine Illustrationen umspinnt, vereinigt sich die Kalligraphie der
Dürerschen Ranken aus dem Gebetbuch Maximilians mit dem Ebenmaß
der Raffaelischen Groteske (Abb. 442—445, Tafel XL).
Ein Zeugnis von dem über Deutschland hinauswirkenden Einfluß Richters
gewährt uns der Kopenhagener Lorens Frölich (1820 — 1908), der in seiner
Frühzeit in Dresden zu illustrieren begann und auf sächsische Art Märchen-
bilder malte (Abb. 456). ;
Richters Wiener Zeitgenosse Moriz v. Schwind (1804 — 18971), der in
München heimisch wurde, steht in einem noch loseren Verhältnis zur Natur,
ist noch formelhafter, gleichzeitig aber männlicher gesinnt und in weiteren
Bereichen der Phantasie heimisch (Abb. 446—449). Der seltsame Fall dieser
Spätromantiker, daß sie mangelhafte Zeichner und noch schlechtere Maler,
gleichwohl aber echte Künstler waren, wird hier wie in einem Schulbei-
spiel deutlich. Formal betrachtet kann Schwind nicht befriedigen, und
seine Verehrer, die alles Erreichbare von ihm veröffentlichten, haben ihm
einen schlechten Dienst erwiesen. Woran es bei ihm fehlt, wird überall da
deutlich, wo es auf -Naturstudium ankommt, z. B. im Bildnis. Dies ist
darum mißlich, weil Schwind seiner Absicht nach keineswegs der Natur den
Rücken kehrt, vielmehr sich liebevoll in sie versenkt. Allein er träumt von
ihr, anstatt sie genau anzuschauen, er singt und dichtet mit dem Pinsel.
Musik und Poesie haben bei ihm die Malerei aufgezehrt. Und doch ist er ein
Schöpfer, der Herr eines Reiches, in dem er gebietet. Und schließlich mag es
als eine Frage der Etikette betrachtet werden, ob man ihn im Ruhmestempel
der Nachwelt unter die Maler einreiht oder unter die Dichter, wenn man ihm
nur seinen Platz darin vergönnt. Den Franzosen freilich und allen jenen, die
ganz auf formale Werte eingestellt sind, wird dieser Fall, wie so mancher
der deutschen Kunst immer unverständlich bleiben.
Nach tastenden Anfängen bekam Schwind festen Boden unter die Füße,
als er die deutsche Sage und das Märchen zu illustrieren begann. Hier fühlt
er sich zu Hause. Melusine, Rübezahl, die sieben Raben mit ihrer treuen
Schwester und das ganze Volk der Erdgeister sind ihm vertraut. Er sieht sie,
so wie das Volk sie glaubt und träumt, in einfachen Umrissen, gar nicht unheim-
lich, vielmehr gemütlich. So sieht er auch den Wald, in dem sie hausen, die
sonnigen deutschen Fluren und den Vater Rhein mit seinen Burgen und der
schönen Lorelei. Nur die wirkliche Welt bereitet ihm Verlegenheit und, wo
er Tatsachen schildern, d.h. malerisch interpretieren soll, wird er unbeholfen.
Am liebsten dichtet er an den Sagen weiter und spinnt sie in Bilderreihen
aus, auch versteht er die Sprache der Musik und zaubert zu den Klängen
der Sinfonie einen lieblichen Bildertext hervor. Denn seine Phantasie ist ein
unerschöpflich sprudelnder Born. Freilich möchte man ihre bunten Gebilde
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