Full text: Die Kunst des Klassizismus und der Romantik (14)

David war ein vortrefflicher Lehrer und sein unmittelbar wirksamer Einfluß ss 
der größeste, den jemals ein Maler des neunzehnten Jahrhunderts ausgeübt Se 
hat. Begreiflicherweise! Denn die Vorzüge seiner Kunst waren in hohem str: 
Maße lehrbar, seine Theorie sehr faßlich, seine Anforderungen an solides Stu- aus 
dium streng, ohne kleinlich zu sein. Nur ein Bedenken läßt sich — vom ger- bal 
manischen Standpunkt aus — gegen diese Schule erheben, daß sie einförmig die 
aussehe und die Entwicklung von Individualitäten, wenigstens in der Nähe ber 
des Meisters, nicht begünstigt habe. Wohl fühlen wir, daß der älteste seiner vo: 
Schüler, Jean Baptiste Regnault (1754—1820) besonders trocken m 
(Abb. 349, 350), daß dessen Schüler Pierre Narcisse Gu&rin (1774—1833) SCH 
von anmutiger, etwas manierierter Bewegtheit sei (Abb. 351—353), daß Giro- Zul 
det-Trioson (1767—1824) sich durch pathetische Kompositionen auszeichne dal 
(Abb. 354), daß die bevorzugten Hofmaler Napoleons, Gerard (1770—1832) mil 
und Gros (1771—1835), das Beste in ihren Bildnissen ausgesagt haben, Bil 
Gerard etwas empfindsamer (Abb. 358—360, Tafel XXIX), Gros etwas Ta 
gröber (Abb. 355—357) — aber schließlich rücken sie doch alle nahezusammen sch 
zu dem Gesamtbild der einen, sehr solide arbeitenden, gleichmäßig auf die ma 
Antike und die Natur sich stützenden, nicht sehr malerischen Schule der De 
Malerei, die über David selbst nicht hinausgegangen ist. üb 
Den nächsten Schritt bezeichnet Ingres. Er ist es, der mit der unbe- der 
fangenen Kraft des Genius, des immer schöpferisch gesetzgebenden, die ret- Sal 
tende Verbindung des Klassizismus mit dem Leben der Gegenwart vollzieht. DA 
Eben diese Tatsache war es, die ihn lange verkannt sein ließ, da man ihn je nach die 
der Parteistellung der Kritiker als Naturalisten oder als kalten und rück- Zu 
ständigen Klassizisten verurteilte. Erst später erkannte sich seine Nation in au! 
ihm. In der Tat war er wohl die edelste, vielleicht sogar die vollkommenste bes 
Verkörperung des französischen Genius in seinem Jahrhundert. bes 
Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780—1867) begann als einer der deı 
späten Schüler Davids und malte noch mit achtundzwanzig Jahren ein so schul- des 
gerechtes reliefmäßiges Bild wie den Ödipus (Abb. 361). Aber bald enthüllt sich Ve 
der unerhörte Reichtum seiner Begabung. Sein Temperament ist verhalten, deı 
gezügelt durch das Bewußtsein einer mit Tradition gesättigten strengen DC 
Schule. Aber es glüht unter der Glätte seiner Formen. Ihm ist das Wider- sol 
sprechende dienstbar, Südliches und Nördliches. Die Antike, Raffael, Holbein Ih 
und die französischen Maler des späten Mittelalters sind in ihm verschmolzen hie 
und zu einer lebendigen Einheit geworden. Der Naive könnte vor einzelnen trä 
Bildern einen allzu geschickten Epigonen zu sehen vermeinen, hier den Epi- ent 
gonen Raffaels, dort den Epigonen Davids, da den modernen Nachfolger hu: 
Holbeins. Und doch wäre nichts ungerechter, denn die Größe Ingres beruht vo! 
eben in der Einheitlichkeit. ) 
Die Basis seiner Kunst ist die Zeichnung, die Zeichnung als ein Gebilde der wa 
reinen Linie, nicht der phrasenhaft schönen manierierten Linie, die immer EC: 
wieder in ähnliche Kurven gerät, sondern der Linie, die dem Leben folgt und Hc 
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