Naturmotiv zu verlangen ist, sondern vom Künstler, der wenn er nur das ihm
Zeug dazu hat, sich mit den Schneidern aller Zeiten abfinden kann. Für die er €
Begabung Ingres’, der geduldig und überlegen die krause Natur betrachtet, wen
scheint das Gewand seiner Zeitgenossen ebensoviel Schönheit zu enthalten fern
wie ihr Antlitz. Sein spitzer Bleistift, der in untadelig reinen Umrissen die und
Gesichter beschreibt, ergeht sich gern auch in dem Faltengekräusel der Kleider. vor
Ja bisweilen, wie beim Bildnis der Madame Riviere, weiß man nicht, was Cha:
man mehr bewundern soll, die Miene, die Haltung oder das wunderbare solc]
Linienspiel des Gewandes, das doch nirgends zur Kalligraphie wird, d. h. zum weg
leeren Schnörkel (Abb. 363). liche
So sehr wir nun den Zeichner Ingres bewundern, so falsch wäre es, zu leugnen, Jah!
daß er ein Maler ist. Er ist sogar wesentlich Maler, einer, dessen Zeichnung erst es d
im Gemälde ihr Ziel erreicht und sich vollendet. Freilich ist seine Malerei Den
nicht der kühne Ausdruck des andeutend schaffenden Pinsels, sondern ein liefe
edles, fein verschmolzenes Email. Aber auch das ist große Malerei, ähnlich wie hina
die eines Holbein oder seiner niederländischen Vorgänger. Und auch ein als «
Kolorist ist Ingres, so wenig man ihm diesen letzten Ruhmestitel gönnen rati
will — denn sein Kolorit ist eben jenes, das allein und vollkommen seiner der
Zeichnung gemäß ist. Sein Schwarz ist wie bei van Dyck ein resolutes Schwarz, mon
und alle Lokalfarben haben bei ihm eine Aufrichtigkeit, die als einfältig er- Orie
scheinen könnte, wenn sie nicht zu so raffinierten Gesamtwirkungen führte, sein
die niemals bunt sind, nur oft sehr kühl und immer diskret. Aber freilich M
bedeutet dieses Kolorit den Gegensatz zu dem, was man im anderen Lager mit
der Zeitgenossen, bei Delacroix und den Seinen, anfıng als koloristisch an- Fra:
zusehen. kanı
Unter der nächsten Gefolgschaft Ingres zeichnet sich Jean Hippolyte Gan
Flandrin (18009—1864) aus, der als Pferde- und Soldatenmaler begann, um liche
sich dann durch Ingres’ Beispiel zum Klassischen und dann auch zum Christ- unt«
lichen zu bekehren; d. h. er umhüllte mit klassizistischer Form Monumental- keit
malereien der christlichen Legende, mit denen er einige Kirchen von Paris lebe
schmückte (St. Severin, St. Germain-des-Pres, St. Vincent-de-Paul). Seine viel:
Qualität in diesen Bildern und auch die Gesinnung, die seine Formen inspi- Cha
riert, ist dem Wesen unserer Nazarener vergleichbar und bedeutet keine sich
Mehrung des von Tngres beherrschten Reiches (Abb. 462). Lebendiger und best
eigener wird er im Bildnis. Wir zeigen eine seiner populärsten Schöpfungen, im
den Akt eines auf einem Felsen am Meere einsam kauernden Jünglings — dur
eine eindringliche Komposition, die in mancher sentimentalen N achahmung ihm
ein Echo gefunden hat. Hier ist Flandrin reiner Klassizist (Abb. 365). pP
Was dem französischen Klassizismus nach Ingres’ Vorgang noch zu sagen Hol
übrigblieb, enthüllt uns Chasseriau. Th&odore Chasseriau (1819—1856) Säu.
war einer jener schnell Gereiften, denen das Schicksal eine ungewöhnliche Hol
Entwicklung gewährt, weil es ihnen ein frühes Ende verhängt hat. Er geht Ital
von Ingres aus, zu dem er als Knabe stürmisch begehrte. Und Ingres wies NCU|
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