Erster Teil. 86.
Begeht den Dienst der bleichen Hekate,
Und dürrer Mord, geweckt von seiner Schildwacht,
Dem Wolf, der das Signal ihm heult, fährt auf,
Schleicht vorwärts mit weit ausgeholten Schritten
Wie einst Tarquin in seiner Brunst, und rückt
Nach seinem Ziel hin, wie ein Geist.
Der Mord ist also zu einem persönlichen Wesen geworden.
„Eiferju<t, das grünäugige Scheusal,“ sagt Shakespeare.
Seine Phantasie stroßt von solchen Belebungen. Von der Zeit
jagt er einmal: „der hagere Küster, der kahle Glöckner: Zeit.“
Schiller läßt in Kabale und Liebe Ferdinand sagen: „I<
weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Sekunden zerstückte,
wo Sehnsucht naß mir sich an die Gewichte der zögernden
Wanduhr hieng.“
In seinem Lied von der GloFe heißt es: „In den öden
Fensterhöhlen wohnt das Grauen.“ So ist unser Grauen zu
einem Wesen für sich gemacht.
Das ist der magische Akt, den der Dichter vollzieht.
Direkt oder indirekt haben wir also immer den Menschen.
Kein Gehalt ist ästhetisch wirksam, der nicht menschli< anspricht;
auc< der ärmste Gehalt wird durc< die Phantasie so beseelt, daß
er in Beziehungen zum Menschlichen kommt.
Was ist do< im Schönen für ein eigentümliches Rätsel
gelöst ! In der gewöhnlichen, prosaischen Betrachtung der Dinge
fällt uns die Welt in zwei Stücke: Natur draußen -- Seele, Geist,
das Innere in uns. Und wir laufen herum und meinen, wir
wissen etwas mit diesem an unseren Schuhsohlen abgelaufenen
Gegenjaß, den keine Philosophie gut heißen kann! Man meint,
man müsje immer beide trennen, wie etwa durch eine Bretter-
wand, die höchstens ein paar Löcher hat, daß man vom einen
ins andere sehen kann. Aber nein! Die Natur steigt Stufe
um Stufe empor , ein Wesen bildend, das Nerven , also Em-
pfindungen hat, höher und höher zu dem, was wir Geist nennen,
Selbstbewußtsein, allgemeines Denken ; und wenn nun der Geist,
nachdem er aus dem Ei der Natur ausgeschlüpft ist, in Wider-
jpruch mit diesem seinem mütterlichen Ursprung kommt und ihn
bekämpfen muß, so verändert das doh rein gar nichts an dem
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