10 . Eriter: Teil. 8.77
Malerei dagegen auf den Realstil. Die antike Kunst und Poesie
hat mehr Typen gegeben, die moderne individualisiert mehr.
Doc<h der Gegensaß ist kein absoluter. Die mehr gattungs-
mäßig normalen Typen dürfen ja nicht leblose, nicht allgemeine,
fla<ße Schemata von sogenannter Schönheit sein. Die Götter
der antiken Skulptur haben auf ihre Weise auch Individualität.
Zum Beispiel sehen Sie den Hermes an, den man jeßt in
Olympia gefunden! Dieser herrliche Grie<henkopf von Praxiteles
ist eigenartig und ganz anders geformt als z. B. der Kopf des
Apollo oder des Jupiter, oder des Herkules. Die griechischen
Götter sind auch Individualitäten, nur sind die Linien der Indiz
vidualität an ihnen leiser gezogen. Andererseits würde der rea-
listische oder <arakteristische Stil sehr übel thun, falls er in sol<em
Grade individualisieren würde, daß man den Eindruck hätte:
dies ist mehr Grille als allgemein menschliche Wahrheit. Wenn
diese zwei Stilrichtungen, die idealistische und die realistisc<e, zu
weit auseinander gehen, so verfallen sie beide in die schlimmsten
Ausgartungen; deswegen soll die eine die andere immer mahnen,
daß sie sich nicht in der Form verliere.
Bei allem e<t gelungenen Schönen werden Sie sich jagen:
„Ja, so ist es!“ Denken Sie an den eingebildeten Kranken
von Moliäre, oder an die Demagogenrede, die Antonius in
Shakespeares Julius Cäsar spricht. Da spüren wir im Augen-
bli: das Wesen dieser Menschheitsform ist getroffen. Aber
ganz gleichzeitig sagen wir uns: so kann es nur einmal da
jein, das gab es nie vorher und wird es nie wieder geben,
diese Erscheinung ist so wahr und doch so eigentümli<h. Auch
beim Anhören von Musik haben wir diesen doppelten Eindruck.
Sie legt das innerste Wesen einer uns allen vertrauten Stim-
mung bloß; und doc<h haben wir das in solcher Art no<h nie-
mals gehört. Es ist immer beides beisammen; und seine Tren-
nung in den zwei Stilrichtungen ist nur eine relative.
Man hat diese Begriffsbestimmungen s<arf abgegrenzt.
Hier begegnet uns wieder der Philosoph Wolff, ein nicht eben
sehr tief dringender Geist, der aber die Gebiete der Philosophie
geordnet und, ohne der Würde der Wissenschaft etwas zu vergeben,
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