Dex natürliche und der ästhetische Wert. 111
Säugetier, steht zunächst am Mens<en und müßte also nach
dem Maßstab der Stufenreihe das schönste Tier sein. Die
Natur macht aber Uebergangsformen. Gerade dur< seine
Mensc<enähnlichkeit ist der Affe eine dur<aus widerwärtige,
höchstens komische Erscheinung. Herder sagt von ihm: „hart an
der Schwelle der Menschheit ist ihm die Thüre der Vernunft
zugeschlagen worden“. So geht das auf und ab; und Sie sehen,
wie uns der Saß von der Stufenreihe zerworfen wird.
Wir müssen ferner immer bedenken: in der Aesthetik sind
wir niemals bei der bloßen Natur, sondern wir haben immer
die Kunst im Auge, denn das Schöne ist wahrhaft nur in der
Kunst. Die Kunst oder die künstlerische Phantasie kann zuweilen
in das niedrigere Gebiet viel höheren Seelengehalt als in das
höhere legen. Die Seele des phantasievoll Betrachtenden sieht in
der Gesamtersheinung der unorganischen und vegetabilisch organi-
schen Natur die Stimmung der Mensc<<enseele. Deshalb kann
ein Landschaftsbild unendlich mehr ästhetisc<en Wert haben als
das gelungenste Bild eines Tieres, das doch an sich viel höher
steht als eine Pflanze. Es ist also eine Verschiebung, die einem
förmlihen Sprunge gleichkommt. Die Seele des Künstlers
reißt die unorganische Ersheinungswelt heraus aus dem Rang,
der ihr zukommt im Folgengang des Natursystems, und gibt
ihr einen unendlich höheren Wert. Cine Lache mit ein paar
Weidenknorren kann so seelenvoll wirken, daß es ist wie ein
tiefgefühltes Adagio.
Dann gibt es ja aber auch verschiedene Künste. Eine Kunst
kann sagen, was die andere nicht kann. Es kann einer Kunst,
z. B. der Skulptur, nach ihren Stilgesezen etwas sehr will-
kommen sein, was relativ niedrig steht im Naturreich, und sehr
unwillfommen, was höher steht. Der Vogel ist plastisch günstig,
der Kopf der Taube, Ente, vollends des Adlers wohlgezeichnet
und der Rlastik lieber als so manc<he Kopfformen von Tieren,
die an sich viel edler sind, aber diese klar ausgespro<hene Bildung
nicht haben. Es kann etwas malerisch sehr und plastisc<; gar
nicht brauchbar sein. -- Und die Poesie? Da kommt es nun
ganz anders. Sie hat die Mittel, das dem Auge Verborgene