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als ein Drama mit seinen Tendenzen und großen Leidensc<haften.“
Wie ist das nun? Zunächst ganz in der Ordnung. Mit Recht
eifert man dafür. Denn in allem Schönen kommt es auf das
Wie an. Der moralische Wert entscheidet nicht, sonst wäre der
bessere Mens< auc< der bessere Künstler, Schiller größer als
Goethe. Das ist ja Unsinn; wir haben es bereits früher erkannt.
Wer besser vergegenwärtigt, ist der höhere Künstler, dies
steht über jedem Zweifel. Wer uns eine schlichte Landschaft mit
meisterhafter Kunst vor Augen führt, so daß sie ganz stimmungs-
voll erscheint, ist ein größerer Künstler als derjenige, welcher
ein Drama macht mit reicher Handlung, mit sittlichen Inter-
essen, hohen Gedanken, aber unvollkommen. Jedoch in diesem
Vergleiche klappt es nicht ganz, da muß etwas fehlen. I<
fomme hier darauf, weil just an diesem Beispiel meine Dispu-
tationen mit den Formalisten verlaufen sind. Diese haben ge-
jagt: der höhere Inhalt3wert mac<ht nicht den höheren Kunst-
wert. Das gebe i< zu. Wenn ein Dichter oder Historien-
maler Großartiges so gut darstellt, wie jener Landschaft5smaler
in seinem Kleinod Weniges und Sclichtes, dann werden wir
jagen:
Erstens: Beide sind ganze Künstler; ja, das Objekt ent-
scheidet es nicht. Aber nehmen Sie ein historisches Bild, worin
großartige Handlungen auch mit großartiger Kunst behandelt
sind, wie 3. B. die Zerstörung Trojas von Cornelius in der
Mündener Glyptothek! Steht das nicht über einer meisterlichen
Landschaft? Der größere Gegenstand verlangt auch eine tiefere,
reichere Künstlerseele.
Zweiten5: Unter Ethishem begreifen wir alles mit geistigem
Vollwert, denken dabei nicht nur an Moralisches. Wenn nun ein
ethis<es Kunstgenie seinen ethisc<en Gehalt in erhabene Formen
legt und die Sprache des großen Stiles spricht, so sind das,
wie wir gesehen haben, nicht zweierlei Werte, sondern es ist ein
Wert. Die von Großem erfüllte Seele, sagte ich, ist dieselbe
Seele, welche die Organe ihres Ausdrucks ins Große stre>t?).
1) Vgl. oben S. 60.