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alten Bildern, die roh in der Form waren und recht gestreng
aussahen, recht bös, und sagt: „diese sind heiliger als die neuen,
schönen.“ So werden die ganz alten düsteren Marienbilder
als gnadenreich verehrt; sie erscheinen besser geeignet, den
Mensc<en in sein Inneres zu werfen, als diejenigen mit freier,
gefälliger, brillanter Form.
“ Und die Bilderstürme des 16. Jahrhunderts? Kein Freund
der Kunst wird sie je entshuldigen, aber ein Körnchen Wahr-
heit ist dabei. Sie wurden freilich ausgeführt von rohen Men-
jhen, die gar kein Kunstgefühl hatten, aber diese gingen aus
von dem Gedanken: es sind Gößenbilder, die angebetet werden,
Gegenstände des Gößendienstes; und da hatten sie recht. Als
gebildete Menschen hätten sie gesagt: schaffen wir sie in ein
Museum! aber sie waren eben roh. Heute ist es in der ganzen
katholischen Welt so, daß die Kir<henbilder im Sinne des Gößgen-
dienstes verehrt werden. Da glaubt man: diese Maria thut
Wunder , thut es mehr als eine andere u. dergl. Madonnen-
bilder erscheinen und verschwinden. Man gibt der heiligen
Gestalt frisches Zeug; just wie im Altertum, wo die Götterbilder
gewaj<en wurden, neue Röcke bekamen , wie 3. B. die Statue
der Athene auf dem Parthenon. --
Aber jetzt betrachten Sie die Kunst für sich! Sie hat zwar
ihre Bilder zu großem Teil gemein mit der Religion, aber als
Kunst steht sie ihnen ganz anders gegenüber. Das Schöne ist ja
freier Schein, bloßes Bild *). Nehmen Sie irgend eine griechische
Götterstatue, z. B. den Apollo. Wir betrachten ihn mit hoher
Freude. Aber wir glauben ja nicht mehr an die Götter der
Alten; es fällt uns nicht ein, zu meinen, es gebe wirklich einen
Apollo. Und do< hat er für uns eine innere Wahrheit; wir
jehen in ihm personifiziert die Herrlichkeit des Lichtes, das ein
Symbol des Geistes ist, die Herrlichkeit der Klarheit des Geistes.
Oder wir stehen mit einem der Andacht ähnlihen Gefühl vor
der sixtinischen Madonna, aber es ist nicht identisch, mit der
Andacht kir<licher Verehrung*). Wer sie anbetet,/ fieht ihre
1) Siehe oben S. 50 ff.
2) Siehe oben S. 83.
-e