170 Erster Teil. 89.
Reizen wirkt, indem er da und dort einen Schleier lüftet; dann
sind wir nicht mehr in harmloser Stimmung. Das ist falsche
Kunst, die polizeilih zu verfolgen ist im Namen der Völker-
pädagogik. Gegen Makarts 'Diana ist nichts zu sagen. Dort
mag das Nackte walten, wie es will; dort sind wir im Olymp
unter Göttern. Aber mitten in bürgerlicher Welt, wo alles
verhüllt ist, mitten unter Landsknechten nackte Mädchen mit-
laufen lassen, wie es Makart thut in seinem Einzug Karls V.,
das ist abscheulich, wie schön es auch gemalt sein mag. So
darf man den moralischen Standpunkt nicht aus den Augen
verlieren. Auch Wieland (ein ganz guter Knabe sonst) liebt
es, mitten in der Welt der Decenz den Schleier zu lüften,
prickelnde Reize wirken zu lassen; und da überschreitet er die
Grenzen der dem Schönen gewährten Freiheit (wenn er uns
auch immer wieder durch seine Bonhomie versöhnt); da, wird
er, i< will nicht sagen: unsittlih -- wir sind ja in der
Aesthetik =-, sondern: unschön. Das Unsittlihe wird immer
auc< zum Häßlichen ). Die Predigt, daß das Schöne ein
paradiesisc<es Gebiet habe --- und nur Zeloten werden das
nicht dulden wollen -- gibt keinen Freibrief für die Pikanterie
einer verdorbenen Kunst und verdorbenen Sitte, gilt wahrhaft
nicht dem Krebsschaden: den Cafss chantants, wo die Jugend
in Massen dem frech sich enthüllenden Weib gegenübersißt, das
in näselnden Lauten schlüpfrige Verse singt. = =
Wir haben gesehen, wie die Kunst im Elemente der un-
verfänglichen Sinnlichkeit noh mit der Moral zusammenhängt.
Aber sie kann dem Gehalt nach tiefer gehen und der Moral in
das Gebiet der Pflichten hinüberfolgen. Da gibt sie nun ein
Bild der sittlichen Konflikte im Leben. Sie schildert in Dramen,
Epen, Romanen, wie der Mensch der Leidenschaft verfällt und
schuldig wird. -- Aber wie gern wird der Dichter auch eine
Seele darstellen, die das Gute aus Neigung thut. Und nie
wird er vergessen, daß er es in diesem Gebiete mit einer Welt-
ordnung zu thun hat, worin die Kämpfe und Gegensäße als
!) Vgl. oben 42.