Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Das Schöne ein Akt unserer Seele, auch das in der Natur. 201 
Natur im Gegensaß zur Kunst. Dazu gehört also nicht nur 
die Landschaft, Pflanzen und Tierwelt, sondern auch die ganze 
menschlihe Welt, insofern sie Stoff für ästhetis<e Betrachtung 
ist, nicht nur die Gestalt der Geschlechter und Lebensalter, son- 
dern auc< der Ausdru> der Seele in den Zügen (Physiognomik), 
das Geberdenspiel (Mimik), das private, das familiäre und das 
öffentliche Leben, die Kulturform (Sitte, Kleidung, Geräte, Be: 
waffnung) die Geschichte; Alles unter dem Standpunkt der Frage, 
wieviel es für die ästhetische Betrachtung abwirft, aber also 
immer nur, wie es an und für sich selbst ist, ohne von der Kunst 
behandelt zu werden. 
„An und für sich selbst,“ so kann man freilich, streng ge- 
nommen, nicht sagen. Eigentlich gibt es kein Natursc<hönes 
ohne den phantasievoll betrachtenden Menschen, in dem sich be- 
reits der Künstler regt. Das Schöne überhaupt ist ja kein Objekt, 
es ist ein Akt"). Wir sagen: Licht. Was wir damit bezeichnen, ist 
aber nicht Licht an sich, sondern nur insofern, als es ein Auge 
gibt. Gewiße Aethersc<hwingungen, mit dem Auge empfunden, 
heißen Licht. Wenn ein Sonnenstrahl bloß auf die Hand fällt 
und nicht zugleich ins Auge, so empfinden wir bloß Wärme und 
fein Licht. Die Glorie des Sonnenuntergangs ist an sich nichts 
anderes als Luftreflex und nur für den betrachtenden Menschen 
schön, wenn sie von ihm als schön, als eine Glorie empfunden wird. 
Das Scöne ist also ein subjektives Prädikat, das wir den 
Dingen geben mit Bezug auf gewisse Eigenschaften, womit sie 
unserem Geist entgegenkommen, ein Prädikat, das sich unsere 
Seele schafft. Es ist also ungenau und geschieht nur der 
Kürze wegen, wenn wir von dem „Naturschönen“ sprechen, das 
ja als pures Objekt gar nicht vorhanden ist. = 
Das Naturschöne hat nun in allen den genannten Gebieten 
ohne Zweifel seine Vorzüge vor dem Kunstshönen. Und zwar 
in erster Linie den der Gegenständlichkeit. Es hat die Bestimmt- 
heit des Objektes. Die Natur stellt ihre Sachen hel an das 
Tageslicht hin. Vergleichen wir damit einen Menschen, der seinen 
1) Vgl. S. 28.
	        
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