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Umbilden ist niht nur ein Reinigen und Sichten, jondern
auch ein Ergänzen. Wir legen in den Gegenstand mehr
hinein, als er hat; wir kommen ihm mit unserer Seele zu Hilfe.
Unter den Gegenständen der Außenwelt fühlen wir einen Unter-
schied. Nichts erscheint uns ganz harmonisch wohlgebildet, das
eine schöner, formgefälliger, vollkommener als das andere.
Aus diesem Shöneren machen wir, indem wir noch etwas hin-
zuthun, ein wirklich ganz unbedingt Schönes, das uns vorfommt,
als sähen wir es wirklih. Es ist das Erzeugnis des im Reflex
vershönernden Spiegels in uns.
Die Kraft nun, vermöge welcher jeder Künstler und jeder
zum Schönen fähige Mensc< diesen Verklärungsakt vollzieht,
nennen wir Phantasie. Sie ist nicht eigentliche Schöpferin
des Schönen, sie braucht einen Gegenstand, der ihr Eigenschaften
entgegenbringt, aber sie selbst thut do< das Beste, sie erst macht,
daß diese Eigenschaften schön erscheinen. Sie ist das Vermögen
des Schauens, das Vermögen, das Schöne in die Dinge hinein-
zushauen. Sie ist das ästhetische Gewissen. Sie suppliert un-
bewußt, wo Naturschönes, und richtet, wo gewollt Schönes vor-
liegt. Wir verstehen darunter das Ganze der Kräfte, wodur<
Schönes entsteht, Alles inbegriffen, was der Künstler und jeder
Mensch von Scönheitssinn besigen muß. Sauen heißt Phan-
tasie haben. Wir nehmen das Wort sehr intensiv. Ein griechischer
Scriftsteller sagt: „In der Jphigenie hat Euripides die Erinnyen
geschaut.“ Wer uns nicht schauen macht, der ist kein Künstler.
Wir stoßen hier aber auf ein unlösbares Rätsel. Die von
der Phantasie geschaffenen Formen können nur aus der Erfahrung
stammen und stehen doch über aller Erfahrung. Das ist das
Wunderbare. Sie sieht, was sie nie gesehen hat. Und sie spürt
sofort, wo es in der Natur fehlt; sie scheidet aus, ergänzt und
erfindet Neues hinzu. Aber woher hat sie das? Wie erflärt
sich ihr hellsichtiges Schauen? Woher bringt sie dieses Etwas,
das zugleih Maßstab, Supplement und Korrektiv ist? Da liegt
das Dunkel. Wie kommen wir zu dem Urteil: das ist schön,
wenn es doh in der Natur keinen vollkommen schönen Gegen-
stand gibt? Wir sind in der Natur (von der Kunst reden wir
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