Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Traumvorstellung. Künstlerische Phantasie. 915 
von Tell, wird auf die Chronik hingeführt, liest Natur- und 
Reisebeschreibungen aus der Schweiz, hört die Schilderungen 
Goethes. Das ist nun zunächst sein Stoff. Darin muß er 
aber vieles umändern, hinein- und herausthun *). Was muß 
hinein? Vor allem sein Inneres. Er muß in diese Bilder die 
ganze Wärme seines für die Menschenrechte glühenden Geistes 
hineingießen. Dazu werden Erinnerungen aus dem Leben von 
Individuen, von politishen Kämpfen kommen. Von dem 
Chronifalischen und von seinem eigenen Innern muß wegbleiben 
alles, was nicht hineinpaßt. Also ein Zulegen und ein Aus- 
scheiden. Dadurch entsteht endlich ein reines Bild, das alles 
hat, was es haben soll, das Jdealbild, ein Bild, von dem 
Schopenhauer sagt: „was die Natur bloß stammelt, spricht der 
Dichter und Künstler in voller Reinheit aus.“ Er läßt keine 
Späne und Grillen darin. Er liest zwischen den Linien der 
Natur. I< muß immer wieder den Vergleich mit einem Brenn- 
glas gebrauchen, es gibt keinen besseren. „Der Künstler hat in 
sih das Organ, wodurc< die Strahlen des in der Welt zer- 
streuten Vollkommenen nach einem Punkt in Raum und Zeit, 
nach einem Bild geworfen werden, so daß es ideal erscheint. 
Denken Sie dabei nicht sogleih an Dinge höchster Art, nicht 
sogleih an edle und erhabene Vorstellungen. Ideal nennen 
wir ein Bild, das allen den Eigenschaften entspricht, die wir 
vom Schönen ausgesagt haben, also einen individuellen Gegen- 
stand , der sinnenfällig, ausdru>svoll und in der Form durch 
und durch harmonisch ist, auch eine erhabene und komische Er- 
scheinung, deren Harmonie dur< Disharmonie hindurcgeht. 
Kant sagt: „Jvdeal ist Vorstellung eines Dings, als wäre es 
vollfommen.“ Es entsteht der Schein, als ob seine sinnliche 
Form seiner Jdee angemessen wäre, als ob es. alle Eigenschaften 
seiner Gattung in sich shlösse. So wirken zum Beispiel die 
herrlihen Rosse im Giebelfeld des Parthenon, dargestellt, wie 
Helios sie hinausführt und wie er wieder mit ihnen niedertauht. 
Das sind atmende, schnaubende Tiere höherer Art, Götterrosse, 
1) Vgl. oben S. 53, 202, 207, 209. 
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