Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

20; Zweiter. Teil.“ 81. 
poetisierender Wendungen, aber diese haben gar keine Bedeutung 
mehr, sind ganz verblaßt. Der Dichter sagt nicht mehr: der 
Morgen lächelt, und dergl.; das ist rein verbraucht. Mit der 
wissenschaftlichen Sprache kann er erst recht nichts anfangen, 
denn diese strebt ja mit aller Kraft nach dem Abstrakten, und 
die poetische mit aller Kraft gegen das Abstrakte. 
Wie sie vorliegt, erscheint also die Sprache in diesem Zu- 
sammenhange roh. Kann man aber auch sagen: tot? An sich 
ist sie gewiß ein ganz Lebendiges; aber nicht für den Bedarf 
des Dichters. Ihm sc<lummert sie, ein Dornröshen, das zum 
Glü>e weckbar ist; er muß sie zu ganz neuem Leben wecken. 
Wenn Sie dazu kommen, von berühmten Dichtungen Kon- 
zepte zu sehen, so werden Sie staunen, wie die verkorrigiert 
sind. Ein Freund von mir sah Hölderlins Manuskript zur 
herrlihen Ode auf Heidelberg und machte eine genaue Kopie 
davon, wel<e ich beside. Sie ist so bunt, so übergangen 
mit Durhstrihen und Aenderungen, daß man es kaum glauben 
möchte. Daraus sehen Sie, was der Dichter für eine Not 
mit der Sprache hat. Wohl beginnt er mit einem kühnen 
Wurf; das innere Bild muß klar und entschieden vor ihm 
stehen, ehe er daran denkt, es der ,Sprache einzuverleiben. Aber 
nun muß das ges<hehen, und er muß an der Sprache reiben, 
bis sie Funken gibt und in Flammen sein Bild offenbart. 
I< kann hier eine Bemerkung anfügen: Wenn große 
Dichter (wie für uns namentlih Goethe und Sciller) die 
Sprache außerordentlich durchgebildet und bis zu größter Ge- 
s<hmeidigkeit zubereitet haben, so scheint sie nun dem poetischen 
Trieb dermaßen entgegenzukommen, daß Hunderte und Tausende 
meinen, sie können dichten. Was sie hervorbringen, ist aber 
nur ein Anreihen von poetischen Redensarten. Allbekannt ist 
Schillers Distichon: 
„Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache, 
Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein 2" 
Der Wert und Vorzug toten Materials erklärt sich sehr 
leicht, wenn wir nun gewisse Gattungen der Kunst betrachten, 
gewisse Kunstformen, worin Lebendiges verwendet wird. Das 
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