Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

I< Zweiter Teil. 81. 
lihem Wasser, wirklihen Bäumen. Wer wollte das unter- 
jhäßen? Aber sie kann ihr Material, eben weil es lebendig ist, 
nie ganz bezwingen. Es wird und wächst doch nicht vollfommen 
jo, wie sie will. Man kann den Boden nicht ganz so um- 
arbeiten, wie es malerischer Zwe> wäre. Und den Himmel? 
Den malt der Maler, wie er ihn braucht. Aber der wirkliche 
Himmel eines Gartens fragt nichts danach, wie man ihn braucht. 
Ja, aber die menschliche Stimme? Sie werden sagen: Der 
Gesang ist am Ende doch die shönste Musik. Was kann es Höheres 
geben, als wenn das musikalische Instrument derselben Person, 
welche fühlt, was vorzutragen ist, auch unmittelbar im eigenen Leib 
angehört? Was kann es Dienlicheres geben? Die Stimme ist do< 
ein Material, das vollkommen pariert und ganz in der Gewalt 
des Sängers steht. Hier ist der Besitzer selbst der Künstler. 
„Da haben wir es, wie Kant sagen würde, mit einer Anti- 
nomie zu thun, das heißt mit einem der Fälle, wo zwei Säße, 
die einander widersprechen, beiderseits mit gleich vielen Gründen 
verteidigt werden können. Gewiß, der Gesang, produziert von 
der Stimme, die das Organ der empfindenden Seele selbst ist 
und identis< mit ihr, weil sie ihrem Körper angehört, erscheint 
als die höchste, ausdrusvollste , seelenvollste Form der Musik. 
Aber auf der anderen Seite muß man zugeben, daß es kaum 
und nur als äußerste Ausnahme eine Stimme gibt, die ganz 
rein, ganz ohne fremde Klangfarbe tönt. Wie alles Natur- 
schöne ist sie unberechenbaren Zufällen preisgegeben. Sie werden 
nie hören, daß ein Violinist, wenn eine Oper aufgeführt werden 
joll, fich damit entschuldigt, seine Geige sei heiser. Aber die 
Sängerinnen, bei denen kommt's ja so häufig vor: und man 
weiß überdies nicht, ob's nicht verlogen ist. Totes kann man 
kaufen und, wo es untauglich geworden, ersezen. Saiten kann 
im in die Tasche schieben, neue aufspannen. Bei allen leben- 
digen Stoffen kommen dagegen die störendsten Naturzufälle, 
denen alles wirkliche Leben ausgesekt ist; und so hat der Ge- 
jang eine s<limme Shwäche, und man wird sagen: nein, die 
Instrumente entwikeln do<h am reinsten das Wesen der Musik, 
obwohl der Gesang das Höchste ist.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.