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eine innerlich schon fertige Reinschrift, die man nur abzu-
schreiben brauche. Man sollte meinen, wer dazu begabt ist, der
werde ganz leicht formen, malen, dichten, komponieren lernen,
die Natur habe ihm dazu schon die Hand und den fühlenden
Nerv in die Fingerspizen gegeben. Aber nein! Hier liegt eine
eigentümliche Erscheinung vor. Was dem Begriff na< zusammen-
gehört: Talent, innerlih Schönes zu schauen, und Talent, es
hinauszustellen in die Welt, findet sich im Leben doch auch wieder
vielfac< getrennt. So kann einer ein geborener Maler sein und
doch nie re<ht malen lernen. Ein anderer hat entschieden eine
poetis<e Ader, sie ist aber unterbunden , er vermag seine dich-
terisc<en Motive niht vem Wort und Vers einzuverleiben.
„Leicht bei einander wohnen die Gedanken,
Doh hart im Raume stoßen sich die Sachen.“
Auch das vollkommene, schaffensstarke Talent muß mit dem
Stoff einen anstrengenden Kampf kämpfen. Heraustretend aus
jeinem zarten inneren Leben, wird der Geist rauh empfangen
von dem Material, mit dem er sich verbinden soll. Auf ein:
mal heißt es: Halt, das geht nicht so leiht! Du mußt ringen!
Roher und toter Stoff läßt sich formen, aber das muß eben
geleistet werden; und die Sprödigkeit hat er in jeder Kunst,
daß er auch dem Talentvollsten eine Welt von Scwierigkeiten
entgegenhält. Damit hat der Künstler zu kämpfen. Und auch
der Dichter, denn für ihn ist die gewöhnliche Sprache des Um-
gangs nicht viel besser als das Holz und der Stein, woran der
Bildner mit Scnitßmesser , Schlägel und dem feinen Meißel
arbeiten muß... Sciller sagt in seinem Gedicht „das Jdeal
und das Leben“:
„Wenn das Tote bildend zu beseelen,
Mit dem Stoff sich zu vermählen,
Thatenvoll der Genius entbrennt,
Da, da spanne sich des Fleißes Nerve
Und beharrlich vingend unterwerfe
Der Gedanke sich das Element.
Nur dem Ernst, den keine Mühe bleichet,
Rauscht der Wahrheit tief versteckter Born,
Nur des Meißels schwerem Schlag erweichet
Sich des Marmor83 syröde8 Korn 2