Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

IN Zweiter Teil: 82. 
Scwierigkeiten zu thun hatten. Diese formalistisc<en Gesege 
gelten nachweisbar bis zu gewissen Grenzen, dann entwinden 
sie sich und entfliehen uns. Symmetrie zieht sich auch hinein 
in die darstellenden Künste, und wir haben dies bis zu einem 
gewissen Grade an der Laokoongruppe gefunden. Daraus hat 
man für die Bildkünste die Pyramidalform abgeleitet. Aber 
das entweiht uns unter den Fingern und Augen; denn was 
joll die Pyramide, wenn ein Gemälde entschieden foloristisch 
ist und von einer Farbenwirkung, welche die Formen der dar- 
gestellten Gegenstände an Bedeutung weit übertrifft? Da korre- 
spondiert 3. B. die Schattenmasse rechts mit dem Lichteinfall 
links. Das ist aber niht mathematisch bestimmbar, da gibt es 
feine Größenberehnung mehr. =- Der mensc<liche Körper ist sym- 
metrisch, aber die Bewegung hebt die Symmetrie immer irgendwie 
auf, und dann muß der Künstler nach einem anderen Bezuge 
juchen, der in der aufgehobenen Symmetrie dennoch wieder eine 
Einheit herstellt; er verwertet das gegenseitige Balancieren der 
Glieder ?). =- Dann die Frage der Proportion, des Verhält- 
nisses ungleicher Teile unter sih. Wir kamen auf die Lehre 
vom goldenen Schnitt und mußten ihren zweifelhaften Wert er- 
fahren. Ein bestimmter Kanon läßt sich auch dafür nicht for- 
mulieren. Es gibt feinen Proportionssc<hlüssel, der alle Thüren 
öffnet. Diese mathematisch ausgesprohenen Formgesete gelten 
und gelten wiederum nicht; es ist nicht mit ihnen auszukfommen ; 
sie sind nur bis zu einer gewissen Grenze faßbare Niederschläge 
des inneren Lebens, das durch ein Kunstwerk gehen soll. 
Dieses innere Element ist aber durch den freieren Begriff 
Harmonie bezeichnet, der zugleich die Eigenschaften der Regel- 
mäßigkeit, Symmetrie und Proportion, sowie die der bestimmten 
Abgrenzung, der klaren Teilung und des Maßes in sich schließt. 
Der Ausdruk ist aus der Musik genommen und bedeutet ur- 
sprüngli< nur das meßbare Wohlverhältnis der Töne, also 
etwas rein Exaktes, Quantitatives. Aber er hat so, wie wir 
ihn jeht zu verstehen pflegen, nicht nur einen weiteren Umfang 
1) Vgl. S. 126, 130, 131. 
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