2) Zweiter Teil. 8 2.
Bei diesem Geschäft ist nun am meisten das Denken thätig,
der berechnende Verstand; jedo< niemals allein, denn auch
hierin waltet wesentlich die geniale Anschauung des inneren
Bildsinns. Es gibt eben verschiedenes Denken. Wir wissen ja:
verhüllt in der Phantasie des Künstlers , Musikers , Dichters
wirkt ein tiefes Denken ganz eigener Art, ein dynamisches
Denken in Formen !). Und diesem Phantasiedenken zu folgen und
nachzugehen, das erhöht und vertieft den Genuß der Kunstwerke
ganz anders, als wenn wir nur darüber hinfliegen.
Wir haben gesehen: wem es nicht wie im Traum auf-
steigt, der ist kein Dichter. Das gilt aber auch vom Kompo-
nieren. Wem dieses Traumbild nicht die führende Macht ist
beim fritischen Einteilen und Ordnen der ersten Skizze, beim
Umstellen dieser und jener Bestandteile , beim Austilgen von
Fehlern und Schlaken, beim Cintrag von Zuthaten, bei der
näheren Entwickelung der Kontraste und Konsonanzen, der bringt
nur kaltes, totes Zeug zu stande.
Aber wenn der Künstler mit jeinem ersten Entwurf be-
schäftigt ist, so findet er nicht nur Mangel an Ordnung und
Harmonie, sondern auch an natürlichem Ausdru> und Bestimmt-
heit des einzelnen. Der Uebergang zum wirklichen Darstellen
und Auzarbeiten überzeugt ihn, daß sein inneres Bild zu un-
flar, zu bleich, zu verschwommen ist.
Dabei rede ich freilih nicht von Architektur und Musik,
sondern nur von den Künsten, welche gegebene Naturformen
nachahmen, also von Skulptur, Malerei und Poesie.
Denken Sie aber vorerst einmal nur an das gewöhnliche
Vorstellen, no<h abgesehen von dem des Künstlers. Es sind
uns doc< wohl die Züge unserer Freunde eingeprägt, sonst wür-
den wir sie ja gar nicht erkennen, wenn sie uns begegnen. Wir
tragen in uns eine Art von Photographiensammlung. Einen Be-
kannten als solchen ansehen, heißt: ihn mit dem in uns bewahrten
Lichtbild zusammenhalten. Ebenso muß das Tier geistige Bilder in
sich hegen, womit es dies und dies vergleicht.
H Nal. oben S. 47, 51, 108.
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