Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

. Zweiter Teil. 8 3. 
schönen?). Das ist das Kennzeichen der höchsten Werke aller 
Kunst. Darüber hat Kant mit seiner feinen, geistvollen Troken- 
heit (in der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft“) einen tief 
wahren Saß aufgestellt, der lautet: „Vor einem Kunstwerk muß 
man sich bewußt werden, daß es Kunst sei und nicht Natur, 
aber do< muß die Zweckmäßigkeit in der Form desselben von 
allem Zwang willkürlicher Regeln so frei scheinen, als ob es ein 
Produkt der bloßen Natur wäre.“ Als Danned>er zum erstenmal 
die Reste sah aus der besten Zeit griechischer Bildhauerei, die 
Skulpturen vom Parthenon, jenen sogenannten Theseus, jene 
zwei Göttinnen, deren eine im Shoße der anderen gelagert ist, 
jenen Jlissos, da rief er: „das sind ja Formen, wie über die 
Natur gegossen, und doc< schafft die Natur nie sol<he Formen“. 
Ein echtes Kunstgebilde hat den Charakter der Notwendigkeit, 
als könnte es nicht anderes sein. Die Natur hat keine Will- 
für, und willfürlos erscheint das wahre Meisterwerk. Losgelöst 
von dem, der es erschaffen, scheint es sein eigenes Herz zU 
haben, sein eigenes Leben zu führen ?). Der Künstler ist ein 
Schöpfer. Menschen zeugen, die nie gelebt haben und nun 
Leben gewinnen und wie atmende Geister fortbestehen, was ist 
das Großes, Wunderbares! Es hat solch einen Agamemnon, 
Oedipus, Wallenstein, Faust nie gegeben, und diese Gestalten 
leben nun in einer eigenen Welt, in unserer Geisterwelt, aber 
in festen Formen, wie wirkliche Menschen, die auf dem Boden 
wandeln. Sie stehen frei auf sich. Die Nabelschnur zwischen 
der Gestalt und ihrem Schöpfer ist abgeschnitten. Man braucht 
zu ihrem Verständnis keine Kommentare aus seinem Leben. 
Was haben wir viel davon, wenn wir wissen, daß Goethe bei der 
Eleonore an Charlotte v. Stein gedacht hat? Ein Kunstwerk er- 
flärt sich selbst. Historische Notizen sind oft nötig und von Wert, 
aber sie sollen nicht nötig sein*). In der Kunst nur ja keine 
Wegzeiger! Dunkle Allegorien, die eines Kommentars bedürfen, 
sind deswegen keine echten, wahren Kunstwerke. 
3) Nagl. oben S. 228. 
2) Val. oben S. 132. 
3) Val. oben S. 44. 
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