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sonst, wo wir von historischen Bedingungen absehen, im Gegen-
teil bloß Manier und zwar äußerste Manieriertheit nennen. Wir
denken dabei: dieses ist historisch so gekommen, man darf es
am Ende keinem einzelnen als Schuld aufbürden. Und sofern
auch das Falsche eine historis<e Macht hat, kann man es immer-
hin Stil nennen.
Zum Beispiel die altdeutschen Meister mit ihrer hageren,
ekigen Weise, sie haben doch Stil, denn was unschön daran
ist, begreifen wir historisch, und die innere Größe, die in dem
tief ernsten, keus<hen Ausdru> ihrer Werke liegt, verdient den
Namen Stil. Albrecht Dürer können wir so ganz wohl stilvoll
nennen.
Dann nehmen Sie die bauschige Wildheit des 17. und das
Getändel des 18. Jahrhunderts! Auch die ausschweifendsten
Gebilde dieser Periode können wir nicht kurzweg als Ver-
irrungen subjektiver Willkür verwerfen; wir fühlen: sie folgen
einem starken historischen Zuge, und sie gewinnen so eine gewisse
Wucht für uns. Der Strom der Kulturgeschichte hat immer
eine gewisse Kraft der Nötigung. Daher sagen wir, wenn wir
es jo nehmen, nicht Manier, sondern Stil.
Bernini verhöhnte die Geseze der Skulptur. Seine un-
ruhigen, zerflatterten Formen, nach dem beurteilt, was der
wahre Geist der Bildhauerkunst vorschreibt, erscheinen so stillos
als mögli<. Denken Sie aber, daß und wie das geschichtlich
wurde, so gebrauchen Sie dafür doc< das Wort Stil.
Die baro>e Baukunst hat angefangen, mit den Steinen
zu spielen und sie tanzen zu machen, aber wie gesagt: Genie
ist do< dabei, kühner Wurf*); und jene Zeit wollte es einmal
jo. Was historisch gekommen ist, das darf man am Ende
feinem einzelnen aufbürden; und sofern auc< die Verirrung
eine historische Macht hat, kann man ihr Wesen immer Stil
nennen. Wenn man aber von den historischen Bedingungen ab-
sieht, so ist es nicht Stil, sondern Manier.
Es gibt Entwielungsstadien in allen Kunstepohen. Zn
1) Vgl. oben S. 124, 218.
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