Die Wucht im Historischen. Die Epochen der griechischen Kunst. 283
der besonders normal sich auslebenden griechis<en Kunst hat fie
Win>elmann nachgewiesen.
Nirgends hat die Kunst mit der Dichtung eine so klar
organische Entwickelung durchgemacht wie im alten Hellas. Bei
allen späteren Völkern erscheinen die Wege des Fortschrittes viel
verwidelter, weil sie viel mehr in Kontakt miteinander stehen,
weil jedes sich abfinden muß mit dem vom Altertum Gelernten
und zugleich mit neuen Einflüssen von außen her.
„Die Natur der Antike ist Einfalt, hohe Stille,“ dies ist ein
Wort Winkelmanns. Er hat tief in ihr Wesen gebli>t. Und er
hat uns in ihre Geschichte eingeführt, hat uns gezeigt, wie fie
vom strengen Stil zum hohen, vom hohen zum anmutigen und
rührenden, zum prachtvollen und luxuriösen, zum profan Realisti-
schen weiter gegangen und schließlich versunken ist.
In ihrem ersten Entwikelungsstadium erscheint die griechische
Kunst noch schwer, hart, gebunden und, wo sie ein Bild gibt,
zugleich streng sächlih. Da erbaut sie die ungeheuer massigen
Tempel altdoris<her Art. Da haben ihre Gestalten no< etwas
regelhaft Formuliertes; die freie Leichtigkeit der Bewegung ge-
lingt ihr noch niht. An der Grenze dieser Periode stehen die
Skulpturen der beiden Giebelfeldern dcs Tempels auf Aegina.
Wohl uns, daß wir diesen Schaß in einer deutschen Stadt, in
München haben! Er gehört zum Schönsten, was es aus dem
Altertum gibt. Betrachten Sie nun diese Figuren, von denen
leider nicht alle erhalten sind, so unters<heiden sich freilich
wiederum zwei Stile. Athene, die Griechen schüßend, ist noch
eine Arbeit des ganz strengen, gebundenen, namentlich religiös
gebundenen Stils und wahrscheinlih Nachahmung einer älteren
Athenestatue (die vorher an derselben Stelle gestanden haben
mag). Ihre Haltung starr. Die Falten ihres Gewandes liegen
wie gebügelt nebeneinander. Und dann ihr Gesicht. Es ist
ganz typisch und ohne Miene. Aber an den trojanischen und
griehis<en Helden werden Sie schon die naturwahre Grazie
der Glieder bewundern, die Knospe der Blüte, die dann später
zur Entfaltung kommt. Man muß sagen: in der Glyptothek
zu München, da kann man vor einem einzigen Bein eines solchen