Einleitung. 13
gangenheit. Die deutsche Malerei, wie lange hat sie gebraucht,
um die normale Mensc<hengestalt zu begreifen! Selbst Albrecht
Dürer schuf unwillkürlih manche verfehlte. Er trug in seinem
Inneren noh nicht den Kanon, den wir mitbringen müssen, um
zu beurteilen, daß eine Menschengestalt s<hön oder nicht schön
. ist, und doh war er ein so meisterhafter Zeichner. Unser
3 nordis<es Gefühl hat lange gebraucht, bis ihm das Jdeal
der schönen Menschengestalt aufging und hat es erst lernen
müssen bei den Alten, an der antiken Kunst und an der ita-
lienis<en. Das Reinmenschlihe muß also dur< Kultur ent-
wielt sein.
: Aber auch wer sich wirklih zum Mensc<hen gebildet hat,
( auc< der wird gegenüber dem Schönen nicht immer überein-
7 stimmen mit anderen, die mit ihm auf gleicher Höhe stehen.
; Das Kunstwerk wirkt eben auf unendlic< viele und unendlich
verschieden geartete Jndividualitäten. Jede hat ihre Grenzen,
ihre bestimmt angeborenen Neigungen. Es ist ganz natürlich,
daß dem einen mehr der romanische und gotische und weniger
der griechische Stil gefällt, den der andere vorzieht: Aber von
dem, welcher zum Menschen, d. h. zur Harmonie seines Sinnes-
und Seelenlebens sich entwickelt hat, ist do< wenigstens zu
verlangen, daß er etwas wirklih Schönes, das ihm persönlich
weniger zusagt, nicht schlechtweg gerings<äße und einfach ver-
werfe. Er foll wenigstens begreifen, daß andere es für schön
halten können. .
Man hört da oft: de gustibus non est disputandum.
Damit werden wir auf einen anderen Punkt geleitet, auf den
Begriff Ges<mac>.
Früher wurde für Aesthetik das Wort Gesc<hmacslehre
gebraucht, so noh von Kant. Das ist aber falsc<. Geschma>
und Schönheitsfinn ist zweierlei. Geschma> bezieht sich zunächst
auf das bloß Angenehme und findet seine wahre Anwendung
nur in untergeordneten Sphären, für die keine Gesetze aufzustellen
sind. Ganz frei geben wir das Geschmacksurteil nur im engsten
Sinne, als Zungenempfindung. Nur hierin ist reine Zufälligkeit
und Unbestimmbarkeit. Der eine mag Fische, der andere nicht.