Erster Teil. 8 2.
Man pflegt bei „sinnlich“ gleich an etwas Unerlaubtes zu
denfen, denn man ist ja stets moralisch. Aber das Sinnliche
ist unschuldig, wo es nicht mit Pflichten in Konflikt kommt.
Im Schönen sind wir ganz und mitten im Gebiete der Sinn-
li<hfeit. Ohne volle, warme, ganze Sinnlichkeit kein Künstler
und feiner, der etwas von Kunst versteht. Es gibt wohl eine
gemeine Sinnlichkeit, aber auch eine edle, gute, die eben recht
ist; und um die handelt sich's hier.
Das Schöne ist dabei immer ein individueller Gegen-
stand. Dieser Punkt führt uns auf die schwierigsten philo-
sophis<en Fragen. Es sc<hadet nichts, wenn ich für jezt nicht
näher darauf eingehe und nur folgendes bemerke.
Unter Individuum verstehen wir eine unteilbare Einheit,
einen organisch geschlossenen Körper, worin jeder Teil Mittel
und Zwe> ist. In diesem höchsten Sinn Individuum ist
eigentlich nur der Mens<, und nur er das wahre Objekt aller
Kunst. Aber wir nehmen das Wort weiter und bezeichnen da-
mit alles, was in Zeit und Raum abgegrenzt ist. In der
Natur verlaufen die Dinge ins Grenzenlose. Denken Sie 3. B.
an die Unendlichkeit des Himmels. Das Weltall als Ganzes ist
kein ästhetischer Gegenstand. Wenn ich etwas schön nenne, so
greife ich eine Summe von Erscheinungen heraus und grenze
sie wie durch einen Rahmen ab; auch an sich Unbegrenztes; ich
nehme mir einen Auss<hnitt Luft, Wasser, Erde. So wird uns
auch eine Mehrheit von Individuen, eine Gruppe oder Reihe von
Gegenständen, eine Folge von Vorgängen, ein Drama, ein zu-
sammengeseßtes Bild zu einem Individuum. Eine musikalische
Komposition ist individuell , insofern sie den Lebenslauf einer
Gefühlsstimmung darstellt. Die innexe Einheit eines solchen
individuellen Ganzen verhält sich dann zu den in ihr enthaltenen
Teilen oder Individuen wie die Seele, der Geist in einem In-
dividuum, in einem Mensc<hen oder Tier, zu seinen Gliedern.
Das Schöne ist ferner unseren Sinnen sympathisch. Es
thut uns wohl. Was auf unser Auge oder Ohr unangenehm
wirkt, ist immer etwas, was diese Organe au< schädigt. Das
Schöne dagegen ist ihnen homogen und bekömmli<h. Mutet es
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