Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

"M Erster Teil. 8 4. 
den Raum, die Umgebung; und jekt wird Jhnen das Ganze 
zum Bild, zum Schauspiel. 
Von Leonardo da Vinci wird erzählt, er habe einmal eine 
Menge Bauern zu einem Gastmahl eingeladen und ihnen so 
lächerliche Geschichten erzählt, daß sie vor Lachen die tollsten 
Gebärden machten. Gleich nach ihrer Verabschiedung habe er 
dann ihre Gesichter und Grimassen aus dem Kopfe nachgezeichnet. 
Sie mußten ihm aufspielen; und so ist jeder Künstler. So holt 
sich Goethe in Thüringen „einige Motive, wie Enten im Fluge 
geschossen“. In „Wahrheit und Dichtung“ erzählt Goethe, wie 
er als Student in Dre8den, da ihm von seinem Vater eine 
äußerste Abneigung gegen Gasthöfe eingeflößt worden war, bei 
einem Schuster, dem Verwandten seines Leipziger Stubennach- 
bars, wohnte. Er sah sich dort mit Entzücken in der Galerie 
um. „Als ich nun,“ sagt er, „bei meinem Scuster wieder 
eintrat, um das Mittag3mahl zu genießen, trauete i< meinen 
Augen kaum; denn ich glaubte ein Bild von Ostade vor mir zu 
sehen, so vollkommen, daß man es nur auf die Galerie hätte 
hängen dürfen. Stellung der Gegenstände, Licht, Schatten, 
bräunlicher Teint des Ganzen, magische Haltung, alles, was 
man in jenen Bildern bewundert, sah ic< hier in Wirklichkeit.“ 
Das heißt die Gegenwart als Schein sehen, so sieht der Künstler. 
So verhalten wir uns, wenn wir ästhetisch betrac<hten. Wir 
schneiden die Nabels<hnur zwischen uns und dem Objekt entzwei, 
dann ist es ein Bild. Goethe hatte in Jtalien fast kein Auge 
für die innere Stumpfheit des dortigen Lebens, aber er schaute 
und sc<aute. Man mag es von anderer Seite tadeln. Doch 
wie reiste Herder in Jtalien? Er murrt beständig, sieht überall 
nur Mißbräu<e. Er hat den moralisch gerechten Eifer, aber 
er bringt es niemals zur ästhetischen Betrachtung. 
Ariost wurde einmal von seinem Vater sehr gezankt. Er 
war gerade an einem Lustspiel und brauchte einen polternden 
Vater. Den studierte ex nun an ihm. Das war freilich frevel- 
haft. In diesem Zusammenhange durfte er ihn nicht als Bild 
auffassen. Aber an und für sich ist diese Objektivität weder 
frivol no< unfrivol, sondern ästhetisch. 
SP
	        
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