Wesen der Form. FE
Beim Zeichnen geben Sie die Grenzen der Körper durch
Linien an. Sie werden nun sagen: diese Linien sind doch
etwas. Allein können Sie das auc< von ihren Formen als
sol<en behaupten? Diese ihre Formen sind an und für sich
nicht etwas, und sie entsprechen den für sich unfaßbaren Formen
der. Dinge, worauf sie sich beziehen. Die Oberfläche, welche sie
beschreiben , ist nicht wieder ein Körper, nicht selbst eine Linie.
Sie können sich dies bei der Ausführung klar machen. Wenn
Sie mit dem Stift sc<hattierend, oder mit Farben malend,
das ergänzen, was innerhalb der die Grenzen bezeichnenden
Linien ist, so werden diese Linien aufgehoben, sie verschwinden
in den dargestellten Massen der Körper. Und so bestätigt
sich, daß die Umrißlinie ein Nichts gewesen ist, eine bloße Er-
scheinung.
Wie verhält es sih aber mit der Farbe? Ihre Atome
gehen uns so wenig an, wie die Stoffteile, womit die Linie
fixiert wird. Aber wir haben es hier mit ihrer Gesamtwirkung
auf unser Auge zu thun. Diese Wirkung bezeichnen wir, je
nachdem, mit rot, blau, gelb. Die Farbennamen bedeuten aber
nicht Stoffe, sondern Erscheinungsvorgänge. Wir drücken damit
aus, wie etwas unserem Auge erscheint.
Die Farbe ist also, wie die Form, ein auf die Oberfläche
geworfener Schein, etwas sinnlich Negatives. In der Nichtig-
feit des Sinnlichen, da fängt erst das Höhere an.
Und worin besteht die musikalische Schönheit? Die im
Tone bewegte Luft, also was, sozusagen, hinter seiner Wirkung
sich befindet, ist auc< Stoff. Aber die einzelnen Luftwellen,
die sich im Schall einer Sekunde zu tausenden schwingen,
kommen uns dabei nicht zum Bewußtsein; das geht uns wichts
an, sondern der Eindru> auf unser Gehör. Die Luftwellen
sind also ein körperliches Nichts für uns.
Und was gibt der Dichter? Da haben Sie eigentlich einen
Stoff im Sinne der körperlichen Materie niht. Wenn wir im
Gebiet der Poesie von Stoff reden, so hat dieser Begriff eine
andere Bedeutung. Wir können die einzelnen und einzelsten
Teile , woraus ein Gedicht besteht, seinen Stoff nennen, aber
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