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daran denken Sie nicht, wenn Sie seine Gesamtwirkung, wie
sie in uns übergeht, im Auge haben.
So ist die Form ein geistiger Mantel, der über die Materie
geworfen wird. Doch freilich, das in diesem Vergleich gebrauchte
Bild ist immer noh zu sinnlich. Sagen wir also: die ästhetische
Form ist ein vorhandenes Nichts am Sinnlichen, das geistig
wirkt, ein körperliches Negativ, das zu einem Positiv wird, aljo
Hloßes Bild, Schein. aber, wie geiaat, nicht leerer
Schein, sondern Erscheinung. Wir gehen mit unseren Ge-
danfen gar nicht dahinter. An einer Statue beschäftigt uns
nicht ihre Masse, an einer lebendigen Gestalt nicht ihre innere
Körperlichkeit. Sie spielt zwar mit im ästhetis<en Gefühl, aber
ganz leise und nicht so, daß wir uns näher darauf einließen;
wir bleiben auf die Form konzentriert.
Das Schöne liegt also in der Form, und die Form, haben
wir gesagt, ist ein einheitlihes Zusammensein von
Stoffteilen. Jett könnte es scheinen, als ob sich daraus
ergeben müßte, daß das Schöne mathematischer Natur ist.
Wenn man einfach sagt: das Schöne liegt in den Verhältnisjen und
die Einheit, welche dur< dieselben hindurchgeht, begründet Har-
monie, so könnte es scheinen, das Schöne sei ganz begründet in
quantitativen Verhältnissen, in meßbaren Größen, es sei rein
formal.
Veberbli>en wir nun einmal alle Gebiete der Wissens<aft.
Wo kommt denn Form vor, welche pure Form und ohne jeden
Inhalt wäre? Nirgends als in der Mathematik, in der reinen
Lehre von den Größen. Diese haben aber gar keine Beziehung
zu einander. Die Zahl 30 verhält siß gegen die Zahl 33
absolut gleichgültig. Wenn die Mathematik anfängt, diese
Zahlen in Verhältnisse zu seßen, so läßt sie das ganz kalt, sie
sind vein tot. Die eine Seite des Dreie>s steht zur anderen
absolut in gar keinem inneren Verhältnis; jene Linie will von
dieser Linie rein nichts. Die Mathematik abstrahiert von allem
Qualitativen.
Nun aber ist nicht zu verkennen, daß sie im Schönen eine
Rolle spielt.