Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

m Erster Teil. 8 5. 
einer sagen: nein, der Künstler. Aber i< muß außer dem 
Künstler no< hinzunehmen den ästhetisch begabten Laien, der 
das Kunstwerk auch versteht und der irgend etwas als schön vor- 
findet, was nicht die Kunst, sondern die Natur bietet. Also die 
Auffassenden sind der Künstler, der schafft, und der Laie, der 
anschaut. Das Süjet, das Thema, der Gegenstand wird nun 
erst unendlich vertieft und erhöht, multipliziert, bereichert, geadelt 
durc< die wahrhaft geistvolle ästhetische Auffassung und natürlich 
am meisten durc< die Genies in Kunst und Dichtung. 
Man kann sic< das auch klar machen an der Art, wie sie 
sagenhafte Stoffe behandeln. Sage ist Geschichte, die bereits 
dur< die Volksphantasie umgebildet worden, bereits durch die- 
selbe hindurc<hgegangen ist. Doch wenn ein Dichter auch solche 
vorteilhafte Stoffe vorfindet, so wird sich erst noc< fragen, was 
er daraus macht. Vergleihen Sie nur die Faustsage und 
Goethes Faust. Der Doktor Faust der Sage empört sich gegen 
Gott, sagt sih von allen Heiligen los, wird Zauberer: dur< 
seinen Bund mit der Hölle und verfällt ihr schließlih. Das 
ist das Thema, das Goethe vorfand. Aber sehen Sie nun, 
was er daraus geschaffen, was er dazu gethan. Faust ist ja 
in Goethes Werk ein ganz anderer geworden, ein unendlich 
ho<gestimmter, in seinem Jdealismus sich überstürzender Titane, 
der alles erkennen, erstürmen, der die ganze Menschheit, ihr 
Wohl und Wehe durchkosten will. Er darf nicht zur Hölle 
fahren, weil sein Streben edel ist. Es wird ihn dur< Schuld 
führen, aber er wird geläutert hervorgehen, mit seinem Jdealis- 
mus den rechten Realismus vereinen, er wird Maß finden, er 
wird Mann werden. Das hat Goethe aus der Sage gemacht, 
die davon nichts, oder doh nur die allergeringsten Anklänge 
enthält. 
Iphigenie ist auch ein Sagenstoff; und Goethe hat ihn sogar 
schon künstleris< behandelt vorgefunden. Aber des Euripides 
Iphigenie verhält sich zu Goethes wie roher Stoff zu einem 
Kunstwerk. So rein hat Goethe den Adel der Wahrhaftigkeit, 
der schön mens<lihen Empfindung hineingelegt, so rein, wie er 
in einem altgriehis<en Werk noch nicht walten kann. 
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