Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Umbildung durch den Auffassenden. 65 
" So wird der Gegenstand eigentlih Werk des Geistes, der 
. ihn genial auffaßt. Es sagte neulich einer: „das Schöne, das 
“ ist der Geist des Künstlers.“ =- Und der Laie? Bringt er nicht 
| einen kongenialen Sinn mit, so erfaßt er nicht, was er sieht, 
T hört, liest. Er muß die Schöpfung des Gegenstandes von neuem 
H vornehmen, wenn er für ihn etwas sein soll. Die schönste Land- 
4 schaft, das glühendste Abendrot ist dem Gleichgültigen Null, dem 
toten Auge tot. Dies liegt nicht in der Sache, sondern im 
, Auffassenden. Unser richtig fühlendes Schauen schafft die Shön- 
. heit darin. Wir müssen aus unserem Inneren das Wesentliche 
hinzubringen. 
€ Jett kommen wir wieder zur Form; und wir erinnern uns 
. an jenen Saß des Formalisten: das Schöne ist nur Verhältnis, 
E und wenn no<h ein bedeutender Inhalt dazu kommt, so ist das 
- wohl recht willfommen, aber dort liegt nicht das spezifisch 
| Aesthetische, sondern dies ist ein hinzukommender zweiter Wert 
4 außerästhetischer Art. 
5 I<h jage nun dagegen: Der Geist, der sich in einen ge- 
“ gebenen Gegenstand innig versenkt hat und ihn jchöpferisch um- 
bildet, ist dieselbe Kraft, welche auc<ß die Formen bildet. 
2 Denken Sie z. B. an die Sixtinische Madonna Raphaels. Der 
T Gegenstand, die Aufgabe war von den Mönchen des Klosters 
2 San Sisto angegeben. Sie sagten Raphael: du sollst eine 
- Madonna malen, wie sie aus dem Himmel auf die Bitte des 
4 Rapstes Sixtus hervortritt, dem Kloster die Gnade Gottes ver- 
" sihernd. So lag ihm der Gegenstand vor, und es gehörte dazu 
natürlich der katholische Glaube an die Maria. Raphael malte 
t, sie nun, wie sie ganz verzückt einhers<webt. Man sieht ihr an, 
ge sie fommt vom Himmel. Auch dem Kind sieht man es an. 
Dieser Ausdruck sagt: ich schwimme in einem seligen Meer von 
5 Wundern, die niemals ein Auge geschaut. Und durch den erhabenen 
6 Faltenwurf ihres Gewandes geht ein Wehen, das wesentlich bei- 
m trägt zu dem Gefühl des Herschwebens3 aus den geöffneten Herr- 
1 lichkeiten des Himmels. Es ist also derselbe Künstlergeist, der 
or sich hier im Sinne der Bestellung so innig in das Madonnen- 
ideal, in die Vorstellung ihres verzüten Hersc<hwebens sich ver- 
Visher, Das: Schöne und die Kunst.
	        
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