Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Formsymbolik. 69 
denjenigen Künsten, welche kein Naturvorbild nachahmen. Die 
Architektur und die Musik unterscheiden sich dadurc< von allen 
übrigen Künsten. Die Baukunst ahmt nichts aus der Natur 
na<. Daß die Gotik den Wald mit seinen zusammengeneigten 
| und vers<lungenen Baumkronen zum Vorbild nehme, werden Sie 
mit mir für eine längst veraltete Dilettantenansicht halten. Und 
ebenso nichtig wäre die Behauptung, daß die Musik den Vogel- 
gesang nachahme. Beide Künste haben es mit abstrakten Formen 
zu thun; die eine mit Flächen und Linien, die andere mit arith- 
metis< zu berechnenden Verhältnissen von Tönen. 
Hier muß ich nun bringen, was ich im Vorwort nur an- 
gedeutet habe, nämlich die Symbolik. Der Paragraph sagt: 
„Wo die Form ganz meßbar ist, gewinnt sie den qualitativen 
Charakter durc< eine eigentümliche Art der Symbolik, eines 
unbewußten Einfühlens der Seele; ebenso alle an sich un- 
beseelte Erscheinung.“ Also, wo die Form mathematisc< ganz be- 
stimmbar ist, wie in der Architektur, in der Musik, im Versgeseß, 
da tritt eine gewisse Uebertragung ein, so daß sie dennoch qualitativ 
„ wird, d. h. Seele ausdrüFend. Das Qualitative ist ja Gegensaß 
) zum Quantitativen, das bloß ein Größenverhältnis ausdrüct. 
n Das Wort Symbolik ist ein wahrer Proteus. Darüber 
2 muß ein eigenes Buch geschrieben werden; und es ist bereits 
eines geschrieben von Professor Johannes Volkelt, der hiemit 
Bausteine gibt zur nötigen Begründung der Aesthetik. 
) Hier wollen wir bloß zwei Bedeutungen unterscheiden. 
« Symbol: dabei denken wir gewöhnlich an ein Bild, das 
, über sich hinausdeutet nac< einem Begriff oder Zwe>, an ein 
n Bild, das, wenn auch nicht unmittelbar einleuchtend, so doch 
i. konventionell ganz verständlich ist, weil es durc< seine Attribute 
H einen Gedanken ausdrü>t. Es ist uns z. B. geläufig, daß eine 
Figur mit einer Binde um die Augen und einer Wage in der 
n Hand die Gerechtigkeit vorstellt. Die Binde will andeuten die 
tr Unparteilichkeit, die nicht links und rechts sieht, die Wage be- 
ir darf gar keiner Erklärung. Eine Frauengestalt mit einem Anker 
ist die Hoffnung. Dies ist die helle, die verstandes8mäßige 
Symbolik. 
nn
	        
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