208 I. Kraft und Stoff
letzten Endes der einzelnen Sinneserscheinungen in einen logischen
Zusammenhang. Daß dies auf keine andere Weise als so, wie es die klas-
sische Mechanik macht, geschehen könne, eben dies ist der Irrtum.
Eine statistische Erklärung ist auch eine Erklärung, es
ist absolut kein Grund einzusehen, warum man sich bei ihr nicht eben-
sogut beruhigen sollte wie bei einer klassisch mechanistischen. Wenn
in der Wärmetheorie gezeigt wird, daß der sich automatisch vollziehende
Ausgleich der Temperaturen innerhalb eines ungleich temperierten Kör-
pers, die sog. Wärmeleitung, theoretisch auf ganz dasselbe hinauskommt
wie die Tatsache, daß beim Zusammenschütteln zweier Portionen weißen
und schwarzen Sandes eine gleichmäßig graue Mischung entsteht, von
der niemand erwartet, daß sie bei weiterem Schütteln sich ‚„‚von selbst“
wieder entmischen werde, so ist das keine schlechtere, sondern viel-
leicht eine bessere Erklärung als die Erklärung der Planetenbahn aus
dem Newtonschen Gesetz. Beide Male wird unsere Frage nach dem
Warum beantwortet, aber auf ganz verschiedenen Wegen. Verfolgen
wir diese bis ans Ende, so ist leicht einzusehen, daß am Ende des einen
(des klassischen) die notwendige Annahme eines einzigen ganz bestimm-
ten Universalgrundgesetzes steht, eine Annahme, die ich deshalb
in diesem Kapitel in den älteren Auflagen dieses Buches auch ein-
gehend diskutiert habe. Das ganze System der klassischen Physik drängte
auf diese Annahme eines Grundgesetzes hin, aus dem alle heutigen
Teilgesetze als Spezialfälle sich deduzieren ließen. Am Ende des anderen
(statistischen oder wahrscheinlichkeitstheoretischen) Weges steht da-
gegen kein solches „dynamisches‘‘ Grundgesetz, sondern einfach das \
sog. „Gesetz der großen Zahlen“, d.h. die ganz allgemeine Tat-
sache, daß die mittels der Wahrscheinlichkeitstheorie errechneten
Häufigkeiten sich praktisch um so exakter einstellen, je größer die An- '
zahl der Elemente des betrachteten ‚‚Kollektivs‘“ ist. Dieses Gesetz —
dessen. große theoretische Schwierigkeiten uns unten noch beschäftigen
werden — ist nun aber jedenfalls kein physikalisches Gesetz im engeren
Sinne mehr, es ist vielmehr ein rein arithmetisches oder, wenn man 5
lieber will, ein allgemeines Gesetz schlechthin, das die Beziehungen der ;
Arithmetik zur Erfahrung in einer eigenartigen Weise festlegt. Stellen
wir seine Schwierigkeiten (siehe unten) vorerst beiseite, so können }
wir sagen: Die Einsicht, daß die gesamten physikalischen Gesetze sich }
ganz ebenso als solche bloße Statistik erweisen, wie es die speziellen
der Wärmelehre taten, kann unser Kausalbedürfnis durchaus ebensogut “N
befriedigen wie die alte Auffassung der Ableitbarkeit dieser Gesetze Ü
aus einem universalen Grundgesetz. Denn schließlich ist die so und nicht )
anders lautende Form eines solchen nicht weniger unbegreiflich als die
Geltung des „Gesetzes der großen Zahlen‘‘, ja vielleicht ist diese letztere
weniger unbegreiflich als jene. Wenn jemand bei fortgesetztem Würfeln