Full text: Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften

358 III. Materie und Leben 
Kommt nun eine der letzteren mit einer Eizelle zusammen, so entsteht Ay 
wiederum ein Mann (24 + 23 = 47), kommt dagegen eine Spermazelle says 
von 24 Chromosomen mit einer Kizelle zusammen, so entsteht ein ne 
weibliches Kind. Der geringe Überschuß der Knabengeburten ist offen- nr 
bar auf sekundäre Einflüsse zurückzuführen. Man muß annehmen, 
daß die „männchenbestimmenden“‘‘ Spermatozoen (d.h. also die ohne 
X-Chromosom) auf irgendeine Weise einen kleinen Vorteil vor den 
anderen bei der Wanderung zur KEizelle hin besitzen. Daß diese Hilfs- 
hypothese nicht nur eine ad hoc ersonnene Ausflucht ist, sondern 
durchaus berechtigt, ja notwendig ist, ergibt sich wiederum aus ander- 
weitigen Versuchen an Pflanzen und Tieren, bei denen es gelang, durch 
willkürliche Veränderungen dieser sekundären Bedingungen das Ge- 
schlechtsverhältnis in weiten Grenzen zu verschieben. Berühmt. ist 
insonderheit Correns’ Versuch an der Lichtnelke (Melandryum), 
einer sog. einhäusigen Pflanze, d.h. einer solchen, deren Exemplare 
eingeschlechtig sind. Wie Correns zeigen konnte, beruht bei dieser 
Pflanze die ungleiche Zahl der Exemplare von beiderlei Art darauf, 
daß die beiden Arten der Pollenkörper (Männchen- und Weibchen- 
Bestimmer) ungleich rasch durch den Griffel wandern?®), Neuestens 
scheint es gelungen zu sein, auch beim Menschen auf ähnliche Weise 
das Problem der willkürlichen Geschlechtsbestimmung in gewissem 
Umfange zu lösen?97). 
Ein weiterer Beweis für die Richtigkeit dieser Vererbungstheorie 
des Geschlechts liegt in den Tatsachen der sog. geschlechtsgebundenen 
Vererbung. Wir müssen, um diese zu verstehen, zuerst ein Wort über 
die sog. Faktorenkopplung sagen. 
Die vierte der oben angeführten Mendelschen Regeln, die Un- 
abhängigkeitsregel, gilt nicht unbeschränkt. Es zeigt sich im 
Gegenteil, daß gewisse Erbfaktoren häufiger zusammen mendeln, als 
es nach. der Unabhängigkeitsregel zu erwarten wäre. Diese Erscheinung 
heißt „Faktorenkopplung‘“‘, und man erhält ein Maß für die Stärke 
dieser Kopplung aus den Abweichungen von den normalen Zahlver- 
hältnissen. Die Hypothese liegt nahe, daß solche Faktoren im gleichen 
Chromosom lokalisiert zu denken sind. Da es jedoch andererseits mehr 
voneinander ganz oder fast unabhängig mendelnde Merkmalsgruppen als 
Chromosomen gibt, so ist dieser Satz nicht umkehrbar, d.h. es sind 
nicht alle im gleichen Chromosom liegenden Faktoren gekoppelt, man Sog 
muß vielmehr die weitere Hypothese hinzufügen, daß die Chromosomen ein 
ihrerseits wieder aus gewissen Untereinheiten bestehen, deren jede Ro 
(ein sog. Chromomer) eine gekoppelte Merkmalsgruppe enthält, die HU! 
aber mehr oder weniger voneinander unabhängig ausgetauscht werden Er! 
können (Hypothese des sog. Crossing over). Aus weiteren, hier zu Zeil 
weit führenden Untersuchungen schloß Morgan sogar auf eine lineare IRSVA
	        
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