Full text: Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften

408 III. Materie und Leben 
Wir sahen oben, daß wir in den über die Individuen hinausgreifenden 
höheren Ganzheiten, wie z. B. den Tierstöcken und Tierstaaten, aber 
auch in den „Biozönosen‘‘ im weiteren Sinne „Gestalten‘‘ anerkennen 
müssen, denen vom Standpunkte des kritischen Realismus aus eine 
Realität ebensogut zuzuerkennen ist wie den einzelnen in ihnen be- 
faßten Individuen. Natürlich gilt dies in allererster Linie von dem 
Musterbeispiel einer solchen Ganzheitsbildung höherer Ordnung, dem 
Zellenstaat des vielzelligen Lebewesens. Wir haben aber damals die 
Frage nicht berührt, wie sich das denn nun auf seelischem Gebiete < | 
auswirkt, und müssen nun das dort absichtlich Versäumte nachholen. a} 
Daß wir um des Kontinuitätsprinzips willen gezwungen sind, auch der wW 
Kinzelzelle ein seelisches Erleben zuzusprechen, wurde schon zu Anfang iS 
dieses Kapitels erörtert. Dann gilt dies jedoch auch für die Einzelzelle ar 
des vielzelligen Organismus, und wir stehen schon damit vor der Frage: m 
wie verhält sich denn dann diese „Zellseele‘‘ zur Gesamtseele ? Sobald 
wir sie so stellen, erkennen wir, daß die ganz analoge Frage besteht 
hinsichtlich der eben erwähnten höheren Einheiten. Auch dem Polypen- 
stock müssen wir nach allen Analogiegründen ein einheitliches Leben F 
nicht nur, sondern dementsprechend doch auch irgendwie ein einheit- wi 
liches seelisches ‚Erleben‘ zuschreiben. Wie verhält sich dieses wieder 91 
zu dem Seelischen des einzelnen ihm angehörigen Polypen? Wieder au 
andere Fragen treten auf bei solchen Fällen wie dem geteilten Regen- ZW 
wurm oder der in 72 Stücke zerschnittenen Planarie. Was geschieht die 
da auf seelischem Gebiete? Und was bei der Regeneration? Wir wa 
wissen das alles nicht, die Fragen selber aber lehren uns zur Genüge ka 
mindestens dieses eine, daß wir uns hier auf einem Gebiete befinden, GC1 
wo wir mit der Anwendung der uns von unserem eigenen. Seelenleben da 
her geläufigen Begriffe und Sätze sehr vorsichtig sein müssen. Die Bi 
Tierpsychologie steht, wie schon oben erörtert wurde, noch in ihren in 
Anfängen, und von einer wirklich begründeten Pflanzenpsychologie ist Kc 
erst recht gar keine Rede. Wir können daher nur so viel sagen, daß es 
es angesichts der eben erwähnten biologischen Tatsachen schon über- sta 
aus zweifelhaft ist, ob wir überhaupt das Recht haben, wie es gemein- wo 
hin geschieht, uns das Seelische immer nur an ein Gehirn oder mindestens die 
an ein Zentralnervensystem gebunden zu denken. Da wir doch rein Fa 
nichts darüber wissen, wie und warum es gerade an ein solches ge- des 
bunden sein sollte, so bliebe als einziges stichhaltiges Argument für aut 
eine solche Behauptung übrig, daß wir es eben nur bei Vorhandensein die 
eines solchen kennten, aber gerade dies wird ja doch durch die genann- alsı 
ten biologischen Tatsachen zweifelhaft gemacht. Wenn wir die Frage Er 
ganz allgemein stellen: welche biologischen Systeme machen uns den Un 
Eindruck, daß seelisches Erleben (Empfindungen und Willensantriebe) od. 
in ihnen wirksam sind ? — so müssen wir ehrlicherweise antworten, daß übe 
CSA 
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