464 IIL. Materie und Leben
Selektionslehre andererseits oder drittens vitalistischen „Erklärungen“, AL
wonach die ‚„„Natur‘‘ oder der „6lan vital‘ oder was sonst sozusagen in in
einem gewissen Spieltrieb sich einmal daran gemacht hätte, einem we
Schmetterling auf die Rückseite seiner Flügel die genaue Kopie eines au
welken Blattes samt Stiel und Rippen zu zeichnen, was den glücklichen der
Besitzer dieses „Naturspiels‘‘ dann veranlaßt hätte, sich das schleunigst ten
zunutze zu machen, indem er sich ganz blattgemäß an die Stämme setzt. bei
Oder die Zeichnung wäre ihm geradezu von jener „entelechialen‘‘ Macht ein
deshalb mitgegeben, damit er recht schön geschützt wäre (wobei denn ges
freilich kein Grund einzusehen ist, warum eben dieselbe Macht nicht Mu
seinen Feinden auch wieder die Mittel mitgibt, ihn doch zu finden, oder get
sorgt sie für diese weniger gut ?). Wir müssen, wie so manches andere, ent
diese strittigen Fragen einstweilen auf sich beruhen lassen. Nicht das ist tra.
das Problem, wer recht hat, sondern wie viel jeder recht hat. Aus- nei:
drücklich aber sei hervorgehoben, daß nach allem Erörterten die Rolle der
der Selektion denn doch weit größer ist, als die scharfen Gegner des rier
„Darwinismus‘“ ihr zuzugestehen geneigt waren. Der ihr so oft ent- doc
gegengehaltene Einwand, daß die Selektion ja gar nichts Neues schaffen des
könne, vielmehr nur Ungeeignetes ausmerzen könne, geht am Ziel vor- ver‘
bei. Denn die Selektionstheorie hat niemals behauptet, daß die Selektion ein!
die Variationen schaffe. Darwin hat vielmehr, wie alle Selektionstheore- etw
tiker nach ihm, das Vorhandensein von Variationen als zweifellose Tat- voll
sache vorausgesetzt. Die Selektion behauptet nur, daß unter vielen zug
Variationen, die an sich keinerlei Beziehung zum Bedürf- „dy
nis haben, auch solche sein können, die dem Bedürfnis angepaßt sind, Hu
daß diese durch die Wirkung der Auslese bevorzugt erhalten werden neu
werden und so schließlich eine neue Art begründen können. Es ist nicht glat
einzusehen, warum das an sich nicht möglich sein sollte. Wenn es aber Gru
geschieht, so ist dann eben die Auslese wirklich der entscheidende nac
Faktor, und es ist unberechtigt, ihr vorzuwerfen, daß sie mit der Varia- wid.
tion das Wesentlichste bereits voraussetzte. Daß sie von Ultradarwi- Pro
nisten wie Haeckel unvernünftigerweise zum Allerweltsprinzip ge- dad
macht worden ist, dafür kann sie nichts. So kehrt denn auch neuer- win)
dings die Biologie in weiterem Umfange zur Selektionslehre zurück, als Wid
man noch vor 20 oder 10 Jahren glaubte). Die scharfe Ablehnung, Wei
welche jede Art von Lamarckismus durch die moderne Vererbungs- Got
theorie erfährt, hat hierzu am meisten beigetragen. aus
Wir könnten hiermit unsere Erörterung über das Selektionsprinzip ab- Sch!
schließen, wenn nicht noch gewisse weltanschauliche Folgerungen, die besc
man mit ihm zu Recht oder Unrecht verbunden hat, einen Augenblick lich!
unsere Aufmerksamkeit erheischten. Der Widerstand, den ursprüng- Frax
lich die ganze Abstammungslehre in allen religiös und idealistisch ge- F
sinnten Kreisen fand (wobei man, wie schon erwähnt, unbesehens die nich