Full text: Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften

470 IV. Natur und Mensch 
losen oder gar heimlich erfreuten Resignation zu liegen. Was uns Ko per- 
nikus gelehrt hat, war auch erst der Anfang einer wirklichen Erforschung 
des Weltgebäudes, ein winziger Bruchteil von den Problemen, die noch 
heute die Astronomie in Atem halten. Und doch war es bedeutsamer 
als alles, was nachher die Astronomen noch herausgebracht haben und 
jemals herausbringen werden. Denn es war der erste Schritt und darum 
der schwierigste Schritt zu einer natürlichen, von den alten Vorurteilen 
der unmittelbaren Sinneseindrücke frei gemachten Auffassung. Dieser 
Schritt, die Loslösung von dem alten naiven Geozentrismus, wog schwerer 
als alle folgenden zusammen. Denn er hat diese überhaupt erst möglich 
gemacht. Etwas Ähnliches haben wir im vergangenen Jahrhundert er- 
lebt auf dem Gebiete der organischen Welt. Die Erkenntnis, daß auch 
das Werden und Wachsen dieser Welt und das Geschehen in ihr nach 
erforschbaren Gesetzen sich abgespielt hat und noch immer abspielt, 
und daß insonderheit auch das Menschengeschlecht in diesen großen 
Zusammenhang einer organischen Entwicklungsgeschichte hineingehört, 
wird sich in alle Zukunft untrennbar an den Namen Darwin knüpfen, 
mag von dessen Lehren im übrigen auch vieles einer besseren Erkennt- 
nis weichen, und mag er, ebenso wie Kopernikus, auch manchen Vor- 
gänger gehabt haben. Sie sind nicht durchgedrungen in der allgemeinen 
Überzeugung, aber dieser eine, der von Kant geforderte „Newton des 
Grashalms‘‘, schlug durch und gab dem Geistesleben seiner Zeit eine 
neue Richtung. Mag daran sein persönliches Verdienst sein, wie viel oder 
wie wenig man will, die Geschichte‘ knüpft es nun einmal — und mit 
Recht — an seinen Namen. 
Was in der Astronomie die richtige Erkenntnis so schwer machte, ist 
unsere eigene räumliche Kleinheit, unser Gefesseltsein an die Erde, wo- 
durch sie uns als der einzige ruhende Körper erscheint, um den sich alles 
andere bewegt. Was in der Biologie uns hinderte, ist unsere enge Be- 
schränkung in der Zeit. Die Menschheit kannte nur sich selbst und. die 
Tier- und Pflanzenwelt in ihrem gegenwärtigen Bestande und aus ge- 
schichtlicher Überlieferung ein paar hundert oder tausend Jahre. Was 
ist das gegen geologische Zeiträume? Wie sollte man auf den Ge- 
danken an allmähliche Umbildungen kommen, wo doch „seit Menschen- 
gedenken“ alles so geblieben war, wie es noch heute ist ? Beide Male kam 
ferner ein (vermeintliches) religiöses Bedenken, das stärkste aller denk- 
baren Hindernisse, hinzu. Die Geschichte des Streites um das koper- 
nikanische System ist bekannt genug. In dem biologisch-anthropolo- 
gischen Streite erscheint uns aber sogar noch heute die Opposition seitens 
der Kirche nicht so unbegreiflich wie in jenem Falle. Wir wollen auf 
die Gründe derselben unten zurückkommen. Jedenfalls ist es klar, daß 
von einer wissenschaftlichen „Urgeschichte‘“ der Menschheit überhaupt 
keine Rede sein konnte, solange man vollkommen damit zufrieden war,
	        
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