480) IV. Natur und Mensch
sich mehr dem heutigen Typus nähern. (Vgl. die beiden Bilder. Das
Bild des Neandertalers — Homo mousteriensis — ist aber nach neueren,
genaueren Untersuchungen nicht ganz zutreffend, da die Schädelteile
zuerst nicht richtig zusammengesetzt wurden. Bei den neueren Rekon-
struktionen #1) wird die Prognathie [das Vorspringen des Gebisses]
weniger auffallend.) Woher diese Rassen gekommen sind, ist unbekannt.
Ein Zusammenhang zwischen dem Heidelberger und dem Neandertaler
ist, wie schon oben erwähnt, zweifelhaft. Den Cro-Magnon-Typus hiel-
ten früher manche Gelehrte für eine Kreuzung zwischen den beiden letz.
teren, doch ist diese Hypothese heute auch zumeist aufgegeben. — Hau-
ser, der die beiden Skelette, deren Schädel hier abgebildet sind, im Ve-
zeretal auffand, glaubt, daß der Aurignacmensch gegen das Ende der
Kiszeit aus dem Osten in Europa eingewandert sei und dort den Neander-
taler entweder unterjocht oder vertrieben und möglicherweise — auf-
gefressen habe. Doch sind die früher als Reste einer solchen Kannibalen-
mahlzeit gedeuteten Funde in Krapina in Kroatien neuerdings zweifel-
hafter geworden, es ist nicht einmal ganz sicher, daß dort durcheinander
Neandertal- und andere Knochen vorhanden sind. Andere Gelehrte 412)
lassen den Aurignacmenschen von Afrika her einwandern, weil er sich
hauptsächlich im Westen Europas findet, doch sind. die Funde viel zu
spärlich, als daß man auf Grund ihrer irgend etwas Derartiges mit Sicher-
heit behaupten könnte. — Die Cro-Magnon-Rasse wird von ziemlich
vielen heutigen Forschern413) als der direkte Vorläufer entweder der
nordischen oder einer dieser nahe verwandten, jedoch von ihr zu tren-
nenden ‚„dalischen‘‘ oder ‚‚fälischen‘‘ Rasse (s. unten) angesehen, doch
ist auch das keineswegs gesichert. Ebensowenig haben wir eine Ahnung,
woher die anderen heute in Europa noch unterscheidbaren Hauptrassen:
die alpine, mittelländische (westische), dinarische, vorderasiatische usw.
Rasse, gekommen sind. Ziemlich sicher ist nur heute dies, daß die höhere
Kultur erst mit der Einwanderung der Aurignacrasse beginnt. Zwar
hat auch der Neandertaler unzweifelhafte Anfänge einer solchen besessen.
Das von Hauser in Le Moustier ausgegrabene Skelett eines J ünglings
dieser Rasse (Abb. 82) zeigte eine ausgesprochene Begräbnisstellung. Es
hält schwer, sich der Folgerung zu entziehen, daß Menschen, die ihre
Toten so bestatteten, auch schon eine Art von Glauben an ein Weiter-
leben derselben gehabt haben müssen, wie das bei heutigen Primitiven
allgemein der Fall ist. Daß der Neandertaler nicht nur überhaupt das
Feuer gekannt, sondern sich schon richtige Herdstellen angelegt hat,
ist ganz sicher. — Aber seine Werkzeuge zeigen im ganzen doch noch
recht niedrige Kulturstufe, die des Aurignacmenschen (Abb. 83)
stehen unvergleichlich viel höher. Dieser Rasse sind wahrscheinlich
die bekannten Höhlenmalereien (Abb. 84) zu danken, über deren hervor-
ragende künstlerische Qualitäten wir immer aufs neue staunen müssen.
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