HL IV. Natur und Mensch
mit der Anwendung der Zeitform auf diesen metaphysischen
Hintergrund der Welt, das Universellpsychische, steht. Erich
Becher, der selber ein Anhänger dieses Gedankens gewesen ist, hat,
wie wir schon oben erwähnten, an der transzendentalen Geltung der
Zeit festgehalten. Die von ihm dafür angeführten erkenntnistheore-
tischen Gründe sind indes, wie Verfasser an anderer Stelle*®8) nach-
gewiesen zu haben glaubt, und wie auch einer von Bechers Schülern,
A. Wenzl, der das Problem neuerdings bearbeitet hat“), zugesteht,
nicht durchschlagend. Der eigentliche Grund für Bechers Position
ist, wie Verfasser a. a. O0. schon vermutet hatte, seine Stellungnahme
im Körper-Seele-Problem gewesen. Becher war Anhänger der Wech-
selwirkungstheorie, und da er in der Kausalität, wie wir oben sahen,
eine unmittelbare zeitliche Sukzession sah, so mußte er konsequenter-
weise auch dem Psychischen, das er als letzte Realität der Welt ansah
und das uns teils direkt als solches, teils in der (mathematischen) Form
der Materie erscheint, die Zeitlichkeit belassen. Da wir jedoch oben mit
Rücksicht auf die Relativitätstheorie (s. S. 240) uns bereits dafür ent-
schieden hatten, in diesem Betracht zwischen Raum und Zeit keinen
Unterschied zuzulassen, vielmehr beide als bloße Erscheinungsformen
einer transzendentalen ‚„Ordnung‘‘ überhaupt anzusehen, so entsteht die
weitere Frage, wie sich denn das mit der soeben erörterten panpsychisti-
schen Hypothese verträgt. Um diese Frage, soweit es überhaupt mög-
lich ist, zu beantworten, müssen wir uns zunächst fragen, ob es denn
überhaupt Psychisches ohne Zeit geben kann. Der unmittelbare
Kindruck läßt uns sagen: nein. Denn unser eigenes Seelisches ist zweifels-
ohne zeitlich, jedoch nicht räumlich. Eine Empfindung, eine Handlung
dauert soundso viele Sekunden, nimmt aber nicht einen Raum von
soundso viel Kubikzentimetern ein. Aus diesem Grunde ist es so
außerordentlich viel schwieriger, von der Zeit als von dem Raume zu
abstrahieren. Es gibt aber doch Psychisches, das außerhalb aller Zeit
steht. Dazu gehören z. B. die theoretischen Wahrheiten, etwa die Sätze
der reinen Arithmetik, überhaupt aber alle „„Werte‘‘. Diese alle „gelten“
einfach, sie dauern nicht, sie sind auch nicht entstanden, entstanden
sind nur ihre zeitlichen Erfassungen im Menschen, die Gültigkeit eines
arithmetischen Satzes ist aber offensichtlich unabhängig von dem Zeit-
punkte und der Art seiner Entdeckung. Hier haben wir also Geistiges —
denn materiell wird man ja wohl solche Sätze nicht nennen wollen —
dessen Sein außerhalb der Zeit steht (es ist das große Verdienst der
‚„Gegenstandstheorie‘‘, daß sie diesen Sachverhalt gegen allen Psycho-
logismus klar herausgestellt hat)**?), das uns also das Musterbeispiel
für ein überzeitliches Psychisches dienen kann. Nun würde Becher
aber vielleicht sagen, daß das wohl für das Logische und für die ,,Werte““
überhaupt richtig sei, daß aber in unserem Zusammenhange das See-
- A
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