554 IV. Natur und Mensch
digung erheben, in den meisten Fällen zuzurufen: Du bist der Mann!
Der heutige „Gebildete‘‘ (auch wenn er wirklich gebildet ist) verhält sich
zu technischen Dingen, die er tagtäglich benutzt, in den weitaus meisten
Fällen nicht anders wie der Knallprotz zu seiner vom ersten Architekten
der Stadt erbauten Villa mitsamt den darin stehenden oder hängenden
künstlerischen oder literarischen Schätzen. Er besitzt das alles, rein
äußerlich, weil er „es bezahlen kann‘, aber nicht er ist Herr über die
Sachen, sondern die Sachen sind Herr über ihn. Nur daß man im Falle
jenes Knallprotzen dieses Mißverhältnis allgemein erkennt und tadelt,
während man im Falle der technischen Errungenschaften gar nichts
darin findet, einfach deshalb, weil hier fast alle in gleicher Verdammnis
sind. Wer hier eine Besserung erstreben will, der sorge also zuerst dafür,
daß den geistigen Führern unseres Volkes nicht nach wie vor alles Natur-
wissenschaftlich-Technische eine Terra incognita bleibt, dann hört diese
Herrschaft der Sache über den Menschen von selbst auf. Der Einwand,
daß schon die bloße Überfülle der technischen Erzeugnisse den Menschen
von heute ersticke, ist töricht. Wer einmal wirklich innerlich Herr über
ein solches Gebiet der Kultur geworden ist, dem schadet keine noch so
große Menge einzelner seiner Erzeugnisse. Sonst könnte man ebensogut
gegen die Kunst oder anderes dgl. die gleiche Beschuldigung erheben (die
natürlich in gewissen Fällen wirklich gelegentlich zutrifft, das gilt aber
von allen Kulturwerten). Fällt so diese Beschuldigung gegen die Tech-
nik zunächst auf ihre Urheber zurück — daß sie es noch heute nicht ein-
gesehen haben, beweist die neueste Entwicklung der Schulfrage in
Deutschland — so bleibt doch andererseits etwas Richtiges an der Be-
hauptung, daß die durch die moderne Technik umgestalteten Lebens-
verhältnisse die Menschen innerlich in vielfacher Hinsicht schädigen
können und tatsächlich schädigen. Ich denke hierbei nicht so sehr an
die wahnsinnige Überhastung des heutigen Lebens, weil diese nur zum
geringsten Teile eine direkte Folge der Technik, zum weitaus größten
Teile vielmehr eine solche der wirtschaftlich sozialen Entwicklung ist.
Ich meine vielmehr hier in erster Linie die Überhäufung des mo-
dernen Menschen mit Eindrücken aller Art, die eine mehr oder
minder direkte Folge der durch die moderne Technik ermöglichten Ver-
kehrs- und Nachrichtenverhältnisse ist. Auch hier kommt freilich ein
gut Teil auf das Schuldkonto nicht der Technik, sondern der Erwerbs-
gier, die skrupellos das Sensationsbedürfnis aufpeitscht, um daran zu
verdienen, und insofern hätte eine weisere Gesetzgebung allerdings wohl
manchen Schaden verringern können. Doch bleibt bestehen, daß allein
auf diese Weise das Problem nicht aus der Welt zu schaffen ist, wie die
Menschheit sich mit der vordem ganz ungewohnten Fülle der fortwäh-
rend auf sie einströmenden neuen Eindrücke abfinden soll. Hier liegt
wirklich ein sehr ernsthaftes biologisches Problem, das um so ernster