576 IV. Natur und Mensch
an die Stelle wissenschaftlicher Kausalanalyse in die Abstammungslehre
oder die theoretische Biologie überhaupt einzuschieben. Diese Analyse
ist eine Sache für sich, von der weiter oben ausführlich genug die Rede
gewesen ist. Aber schließt denn diese Kausalanalyse und die Feststellung
einzelner teleologischer Zusammenhänge die hier gemeinte Betrachtungs-
weise der Natur aus? So gut wie jene beiden nebeneinander zu Recht
bestehen, kann man doch vielleicht auch noch einmal eine ganz neue
Fragestellung an die gleichen Objekte heranbringen. Wer sagt denn,
daß das Weltverständnis mit kausaler und teleologischer Analyse allein
erschöpft sei? Wenn unsere erkenntnis-theoretische Erörterung uns zu-
letzt zu der Einsicht führte, daß doch wohl die menschliche Erkenntnis-
fähigkeit einerseits und die Dinge an sich andererseits aller Wahr-
scheinlichkeit nach irgendwie aufeinander angelegt sein müssen, da
sich sonst das Faktum der Erkenntnis nicht befriedigend verstehen 1äßt
(s. oben), so liegt es doch wohl nicht allzu abseits, wenn wir weiter ver-
muten, daß dann vielleicht auch die menschliche Anlage zu ästhetischen
Urteilen über die Natur — und wer hätte diese nicht schon einmal
betätigt ? — irgendwie mit gewissen objektiven Seiten der Natur selber
korrespondiert und ohne sie „gegenstandslos‘‘ im wahrsten Sinne des
Wortes sein würde. Wenn Goethe sagt:
Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Die Sonne könnt es nicht erblicken.
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken ?
was gewiß richtig ist, so läßt sich, wenn wir uns an der Analogie mit der
Erkenntnis orientieren, dieser Satz hier auch ebensogut umkehren: wäre
nicht die Welt vom Licht der Schönheit durchflutet, so hätte es niemals
Wesen mit einem Sinn für diese Schönheit gegeben. Wo entsteht denn
sonst ein Organ, das keinen Sinn hat? Wie das Auge für das Licht, das
Ohr für die Schallwellen und die Nase für die chemischen Stoffe da ist,
so ist eben auch unser ästhetischer Sinn — ja für was denn nun ? — da.
Offenbar doch für irgend etwas, was wir durch diesen Sinn ebensowenig
erzeugen, wie wir durch jene das Licht, die Schallwellen und. die Stoffe
erzeugen. Und es ist nicht der leiseste Grund ersichtlich, warum der
Naturforscher nicht das Recht haben sollte, diesen seinen Sinn nun auch
zu betätigen, solange er das, was er durch ihn wahrnimmt, nur reinlich
auseinanderzuhalten versteht mit dem, was ihn die anderen Sinne (im
gewöhnlichen Wortsinn) für die Erkenntnis lehren. Wir erkennen hier
zugleich eine neue tiefere Begründung für das weiter oben über den
Naturschutz Gesagte. Die Naturfreunde unter den Naturforschern —
es sind nicht alle beides zugleich — haben ganz recht, wenn sie auch
rein vom ästhetischen Gesichtspunkt aus die Erhaltung der Schön-