330 Negativretouche.
äussersten Vorsicht verfahren. Gegenüber dem dritten, die Formen
theils abrundenden, theils. verwirrenden Bestandtheil des Körpers,
gegenüber der Haut, darf grössere Freiheit herrschen, die um so
willkürlicher verfahren‘ darf, je mehr sich Haare, Fettpolster, er-
schlaffte und faltige Partieen eindrängen. Hierbei ist nicht zu ver-
gessen, dass die Haut, die überall als Oberfläche auftretend, vermöge
ihrer Farbenflecke und Unreinigkeiten oft eine weit grössere
chemische Wirkung ausübt, als die unter ihr liegenden, sich nur
durch feine Schattennüancen kennzeichnenden Formen. Diese her-
vorzuheben und einzig und allein die Modulation von Licht und
Schatten, nicht aber die verwirrten Effecte der Farben zur
Geltung zu bringen, ist Hauptzweck und Hauptschwierigkeit der
Retouche. Versuchen wir diesen Grundsätzen im Einzelnen Beweis
und Geltung zu verschaffen. Verfolgen wir die Verhältnisse der
Gesichtstheile, ihre Veränderung im Alter, ihre Verschiedenheit bei
den Geschlechtern, ihren Werth für Ausdruck und Aehnlichkeit.
Die Stirn, beim Kinde sehr rund und weich, wird beim Manne
bestimmt und ın deutlich erkennbare Flächen gesondert, ein Haupt-
ausdruck des Charakters. Der obere Theil der Stirn ist diejenige
Partie des menschlichen Kopfes, an welcher die Formen des Schädels
am ungestörtesten zur Erscheinung kommen, nur der untere Theil
derselben wird durch die über den Augen gelegenen sogenannten
Stirnrunzler mit einem sehr beweglichen Element bereichert. Bei
entsprechender Beleuchtung trennen sich die Flächen der Oberstirn
sehr deutlich von einander und hier muss das Bestreben des Re-
toucheurs darauf gerichtet sein, die Grenzen dieser Flächen zu
säubern und sie bestimmt in ihrer Ganzheit erscheinen zu lassen.
Eine zu runde Stirn, bei Frauen 'erträglich, wird beim Manne zu
weichlich, unschön, man erstrebe also hier mehr als sonst eine flächige
Behandlung. Die Hautfalten der Stirn regeln sich nach der Be-
festigung der Haut an der unteren Stirn und bilden horizontale
Furchen, die mit den oberen Augenhöhlenrändemn parallel seitlich
verlaufen. Da sie schon in mittlerem Alter auftreien und die Formen
der Stirn ruhig verfolgen, so können sie oft in gemilderten Tönen
stehen bleiben. Die im höheren Alter auftretenden senkrechten Quer-
falten jedoch, die jene durchkreuzen und durch ihre unruhige Wir-
kung einen sehr üblen Eindruck verursachen, können durchaus ent-
fernt werden. Höchstens können die beiden 7on der Nasenwurzel
nach oben verlaufenden Hautfalten, die die Richtung der Horizontal-
furchen wesentlich ablenken, erhalten bleiben.
Der Haaransatz, an den Schläfen ein sehr veicher, ist ein Haupt-
reiz für den Maler. Die Augenbrauen, selbst an Dichtigkeit, Farbe
und Form höchst verschieden, haben doch im Ganzen, indem sie
dem Augenhöhlenrand folgen, den ästhetischen Werth, dass sie diesen
äusserlich begrenzen. Man thut also wohl, zu stark nach oben aus-
wachsende Härchen zu tilgen und so die Bozenform der Braue zu
klären. Ein Zusammenwachsen über der Nase gilt für unschön.
Es verleiht: dem Gesicht einen finstern Ausiruck, um so leichter,
als schon an und für sich an dieser Stelle ein Schatten auftritt.