334 Negativretouche.
der Mitte des Kinns muss gemildert werden, da es oft in Gestalt
eines Schnittes oder dunklen Loches auftritt.
Der Hals schliesst sich im Allgemeinen dem soeben von den
Kinnpartieen Gesagten an.. Bei Magerkeit wird man wohl thun, die
durch Adern, Sehnen und dergl. hervorgerufenen Schatten zu mil-
dern und durch entsprechende Zusätze oder Verminderungen eine
normale Form anzubahnen. Dasselbe gilt von den Schultern,
dem Busen, den Armen, der Taille und den Händen. Natür-
lich kann man hierbei dreister zu Werke gehen, da die genannten
Partieen ja für individuelle Aehnlichkeit nicht den unbedingten Werth
haben, wie die Verhältnisse des Gesichtes. KEckige und magere Schul-
tern, zu dünne Arme, dürftige Busen und alle diese der weiblichen
Schönheit drohenden Klippen vermeidet der Maler unter allen Um-
ständen; möge es daher auch der Photograph thun, sobald es ihm
Technik, Geschmack und Kenntniss. des. Normalen ‚erlauben. Dies
bezieht sich auch in womöglich noch weiterem Sinne auf Ausgleichung
schiefer Haarconturen, auf die Beseitigung von Falten in schlecht-
sitzenden Kleidern, wie sie an Aermeln, Schulterstücken der Damen,
an den Beinkleidern von Männern fast nie zu umgehen sind.
Es ist ferner gewiss ein Umstand, welcher der Retouche und
vorzugsweise derjenigen des Negativs hohen Werth verleiht, dass man
durch geschickte Ausübung derselben eine ganze Menge von Un-
schönheiten zu beseitigen vermag, deren Bekämpfung durch Stellung
des Originals, durch Arrangements, durch allerlei Experimente nur
theilweise oder unter grosser Ermüdung der Betheiligten zu ermög-
lichen gewesen wäre.
„Dies wären, sagt H. Hartmann, im Allgemeinen die Grundsätze,
die bei einer auf mehr als eine oberflächliche Glätte abzielender. Re-
touche geltend zu machen wären. Ich bin überzeugt, dass jeder mit
Kritik und Vorsicht an die schwierige Arbeit der Retouche gehende
Künstler mit Anwendung derselben fleischige und lebendige Bilder
erzielen wird, während ein gleichgültiges Zudecken und Glätten aller
Dunkelheiten jene gypsartigen und gedunsenen Bilder hervorbringt,
die den Mangel einer anatomisch richtigen Modulation, eines natür-
lichen-Korns und einer gesunden Rauhigkeit, wie sie die menschliche
Haut zeigt, durch eine zu weit getriebene Glätte und Gelecktheit
nur unvollkommen ersetzen. Durch Zeichnen nach der Natur, durch
eifriges Studiren der vorzüglichen Portraits, wie sie neuere und ganz
besonders auch ältere Künstler in so reicher Anzahl lieferten, durch
Sammeln von guten Nachbildungen lässt sich Geschmack und Ur-
theil sehr ausbilden; ich irre wohl kaum, wenn ich diesen, für Jeden
leicht zu beschreitenden Weg als einen. sicher zum Ziele führenden
bezeichne.“
Ill. Der Positivprocess oder Silberdruckprocess.
Die photographische Aufnahme in der Camera abscura liefert ein
Bild auf Glas, welches, im transparenten Lichte betrachtet, negativ, im
reflectirten Lichte gegen einen dunklen Hintergrund positiv erscheint.