534 Charakter.
den Schlägel schwingenden Schmied oder Bildhauer mit Meissel. Er setzt
den Meissel an, schwingt den Hammer über den Kopf und lässt ihn
wuchtig auf den Meissel niederfallen. Es würde nun sehr schwächlich
erscheinen, wenn man diesen letzten Moment, wo Hammer und Meissel
sich berühren, abbilden wollte. Viel lebendiger, wahrer und ver-
ständiger erscheint der hoch über den‘ Kopf geschwungene
Hammer. Bei den allereinfachsten Bewegungen selbst beim Gehen
beobachtet man ähnliche tiefeingreifende Unterschiede. Nicht jede
Phase ist gleich verständlich. Vielen sind gewiss schon jene
gehenden Figuren auf Momentbildern aufgefallen, die das eine
Bein zum Ausschreiten nach vorwärts strecken. Obgleich diese
Bewegung der Natur durchaus‘ entspricht und einen Theil der Geh-
bewegung bildet, so erscheint sie dennoch gänzlich uncharakteristisch,
ja fast komisch, sie macht eher den Eindruck eines Tanzpas oder
eines militärischen Exerecitiums, Unser Gehen ist eine ziemlich
complicirte Bewegung, so einfach sie scheint. Wir schreiten aus,
treten auf den vorgesetzten Fuss, zu gleicher Zeit heben wir den
hinteren Hacken, geben uns mit den Zehen des hinteren Fusses
einen Schub, der die eigentliche Vorwärtsbewegung veran-
lasst und dann erst nehmen wir den hinteren Fuss nach vorn, um
das Spiel zu wiederholen. Von allen diesen verschiedenen Momenten
ist nun gerade jener am charakteristischsten, welcher die Vorwärts-
bewegung veranlasst, d. h. wo der hintere Fuss mit den Zehen
den Schub giebt, während der vordere steht und den Körper trägt.
Und dieser Moment ist es daher, den Künstler bei der Darstellung
gehender Figuren wählen. Er ist einerseits der charakteristischste,
andererseits gewährt er aber nach der abgebildeten Figur den feste -
sten Stand. Man sehe Thorwaldsen’s Alexanderzug (Fig. 229).
Hier sind eine Menge gehender Figuren abgebildet, und man sollte
glauben, dass der Künstler, schon um Contraste zu erhalten, ver-
schiedene Momente der Gehbewegung dargestellt haben würde, und.
dennoch sehen wir alle Figuren in dem Augenblick, wo sie den
hintern Fuss aufzuheben im Begriffe sind,
Wie schlimm es mit Charakteristik der Modelle bei Genre-
bildern bestellt ist, lehrt das p.471 erzählte Beispiel. Die Modelle
wissen, dass sie mitwirken, und recht schwierig ist es, ihnen das
Affectirte in ihren Bewegungen zu nehmen. Daher ist auch bei
Schauspielern und Schauspielerinnen, obgleich diese sehr schätzbare
Modelle sind, Vorsicht nöthig. Auf der Bühne ist viel zu entschul-
digen. Selbst eine wenig schöne Bewegung stört nicht, weil sie
rasch vorübergeht, schrecklich wird solche aber, wenn sie im
Bilde verewigt ist. Bilder von Mimen, die, um einen Handschuh
abzuziehen, mit dem Arm wuchtig ausholen, als zögen sie ein Riesen-
schwert aus der Scheide, erscheinen deshalb geradezu lächerlich.